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Migrationsexperte: EU-Asylreform löst keine Probleme

Die Europäische Union hat eine Reform des Asylrechts auf den Weg gebracht. Der Migrationsexperte Bernd Kasparek, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, hält die Verschärfung für unbrauchbar.

epd: Die Asylreform der EU war mit der Hoffnung verbunden, die Verteilung von Schutzsuchenden fairer zu regeln und EU-Staaten zu mehr Solidarität zu verpflichten. Ist das gelungen?

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Bernd Kasparek: Solidarität kommt in dieser Reform nur sehr begrenzt vor. Formal gibt es einen sogenannten Solidaritätsmechanismus. Aber da geht es um die Verteilung von 30.000 Personen. Das heißt, EU-Staaten könnten Italien und Griechenland je 15.000 Personen pro Jahr abnehmen. Das korrespondiert nicht im Geringsten mit den Ankunftszahlen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich für 20.000 Euro pro Person rauszukaufen. Ich bin sicher, dass viele Staaten diese 20.000 Euro gerne zahlen, zumal das Geld in einen zentralen Fonds geht, aus dem dann zum Beispiel Maßnahmen zur Grenzsicherung bezahlt werden.

Die EU-Asylreform umfasst fünf Gesetzestexte, die sich auf alle Etappen der Migration beziehen. Zuerst müssen alle Ankommenden in ein Screening. Was passiert dort?

Innerhalb von sieben Tagen findet eine Registrierung statt, biometrische Daten werden gespeichert, eine Sicherheitsüberprüfung und ein Gesundheitscheck finden statt. Das Wichtige ist: Dabei werden die Personen so behandelt, als wären sie noch nicht in die EU eingereist. Das nennt sich «Fiktion der Nicht-Einreise». Konkret heißt das, die Menschen können sich nicht auf gewisse europäische Rechte berufen.

epd: Das EU-Parlament hat ein Monitoring gefordert, damit Menschen nicht an der Grenze zurückgeschoben werden. Damit sind sogenannte Pushbacks gemeint. Was ist daraus geworden?

Dieser Monitoring-Mechanismus ist effektiv ausgehöhlt. Es wird weiterhin Pushbacks geben, weil man sie weder gezielt überwacht noch bestraft.

Im Screening wird geprüft, in welches Verfahren die Schutzsuchenden im Anschluss kommen. Wer kommt in die umstrittenen Grenzverfahren, die Asyl-Schnellverfahren an der Außengrenze?

Das hängt zum einen von der Nationalität ab. Liegt die Anerkennungsquote für Asyl von Staatsangehörigen bei unter 20 Prozent, kommen sie ins Grenzverfahren. Für mich ist das ein Denkfehler: Gerade bei niedrigen Anerkennungsquoten sollte man sehr genau prüfen, damit man Opfer von Verfolgung auch wirklich findet. Wer durch einen sicheren Drittstaat in die EU eingereist ist, kann ebenfalls ins Grenzverfahren kommen.

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Die Grundidee der Grenzverfahren ist, dass Menschen mit geringen Bleibechancen schnell wieder abgeschoben werden. Ist das realistisch? Es braucht schließlich auch einen Staat, der bereit ist, sie aufzunehmen.

Das ist die richtige Frage und meine Antwort lautet: nein. Das ist schon immer das ungelöste Problem gewesen. Abschiebungen misslingen eben meistens nicht, weil Leute untertauchen oder unauffindbar sind, wie die deutsche Debatte das gerade nahelegt. Sondern die meisten Staaten sind schlichtweg nicht bereit, Personen zurückzunehmen und schon gar nicht fremde Staatsangehörige. Dafür müsste man einem Land schon massiv viel Geld anbieten.

Das heißt, es könnte einen Rückstau in den Einrichtungen geben, weil die Menschen kein Asyl bekommen, aber auch nicht abgeschoben werden können?

Ganz genau, so wie man das auf den griechischen Inseln schon sieht. Griechenland hat die Türkei zu einem sicheren Drittstaat erklärt. Die Rückschiebung der deswegen abgelehnten Asylsuchenden in die Türkei ist aber nicht möglich, weil die Türkei diese Menschen in der Regel nicht zurücknimmt. Diese Menschen sitzen fest, können weder vor noch zurück.

Wer nicht in die Grenzverfahren kommt, weil er nicht zur genannten Personengruppe gehört oder weil die vorgesehenen 30.000 Plätze für Grenzverfahren voll sind, der kommt in ein reguläres Asylverfahren. Wo findet das statt?

Trotz Reform bleibt der Staat für einen Asylbewerber zuständig, in dem dieser angekommen ist. Das heißt, die Asylverfahren müssten zwingend in den Staaten an der Außengrenze stattfinden. Das sind also mehrheitlich Italien oder Griechenland. Erst wenn die Menschen als Flüchtlinge anerkannt sind, können bis zu 30.000 umverteilt werden.

Die Reform wird zu humanitär katastrophalen Zuständen an der Außengrenze führen.

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Was heißt das für Staaten wie Italien und Griechenland?

Ich gehe von einer massiven Ausweitung von Inhaftierungen in den Staaten an der Außengrenze aus. Denn die Grenzverfahren sind verpflichtend. Die Reform wird damit zu humanitär katastrophalen Zuständen an der Außengrenze führen. Genau deswegen kann ich mir aber auch gut vorstellen, dass Griechenland und Italien am Ende erneut sagen werden, dass sie sich nicht mehr an diese Regeln halten und die Leute weiterreisen lassen. Ohne ein tatsächliches europäisches Solidarsystem gibt es keinen guten Anreiz für die südlichen Staaten, bei diesem System mitzumachen. Die Zuständigkeit für Asylverfahren an die Einreise – und damit an die Geografie – zu knüpfen, war von Anfang an ein Fehler. Auch wenn das System jetzt nicht mehr «Dublin» heißt, lebt die Idee weiter.

Wie lautet Ihr Fazit zur Reform?

Diese Reform löst keines der von der EU benannten Probleme. Gleichzeitig werden sich die Umstände für Schutzsuchende massiv verschlechtern. Dass Staaten die Regeln absehbar brechen werden und Menschen in Lagern feststecken, macht dieses System zu einer Steilvorlage für die Rechten. Sie werden das Scheitern zum Anlass nehmen und sagen: Europa funktioniert nicht, und die Migration ist eine Bedrohung.

Die Fragen stellte Marlene Brey (epd)

Dr. Bernd Kasparek ist Kulturanthropologe mit Schwerpunkt europäische Migration und Grenzregime. Er lehrt an der Berliner Humboldt-Universität.

Quelleepd

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3 Kommentare

  1. Schöne Europäische Werte

    „Die Europäische Union hat eine Reform des Asylrechts auf den Weg gebracht. Der Migrationsexperte Bernd Kasparek, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, hält die Verschärfung für unbrauchbar. Innerhalb von sieben Tagen findet an der Außengrenze eine Registrierung statt, biometrische Daten werden gespeichert, eine Sicherheitsüberprüfung und ein Gesundheitscheck finden statt. Das Wichtige ist: Dabei werden die Personen so behandelt, als wären sie noch nicht in die EU eingereist. Das nennt sich «Fiktion der Nicht-Einreise». Konkret heißt das, die Menschen können sich nicht auf gewisse europäische Rechte berufen“! Wer hier nicht böses denkt, der ist naiv. Das ganze Problem mit den Flüchtenden wäre allerdings sehr gut zu lösen wenn diese sich zahlenmäßig teilen auf Bruchteile aller Zureisenden,indem sich alle EU-Länder solidarisch verhielten und entsprechend eigener Bevölkerungsgröße auch Asylanten und Flüchtlinge aufnehmen. Dafür besteht die Salamitaktik aber auch darin, sich wegzuducken oder auszuweichen. Andere Länder wie Ungarn lassen sich Mini-Zugeständnisse abpressen. Jedenfalls ist ein vor den EU-Grenzen stattfindender Ausleseprozess und Kurzverfahren ein Mogelverfahren, mit größerer Wahrscheinlichkeit auch gegen unsere Verfassung und gegen die Menschenrechte verstoßend: Es gibt keine einzuschaltenden Gerichtsinstanzen und wird im übrigen höchstwahrscheinlich nicht funktionieren. Leider ist der in Europa politisch zu verspürende politische Rechtsruck ein Nichtgarant dafür, dass solche Reformpläne funktionieren könnten, auch nicht wenn sie wider Erwarten nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Leider gibt es eine leicht schweigende Mehrheit dafür, die Leute einfach abzuweisen und die Tore zu schließen. Wir leben leider in einer Welt, in der uns – Gott sei es gedankt – 90% der Flüchtlingsströme hier überhaupt nicht erreichen. Problemlösung kann nur bedeuten, weltweite Feldzüge gegen wirtschaftlichen Niedergang, für eine bessere Welternährung, für Entwicklungshilfe nach dem Gebot der Hilfe zur Selbsthilfe und im Idealfall eine andere Weltwirtschaftsordnung zu schaffen. Dies wäre, neben der Klimakrise, ein sehr langfristiges Projekt. Aber wenn wir das Raumschiff „Erde“ wieder intakt machen wollen, geht dies nicht anders: Die Waffen müssen zu Erntemaschinen und Klimarettungstechnik werden, damit wir unseren Platz auf diesem schönen Planeten erhalten können. Aber leider haben dafür die meisten Politiker:innen keine Leidenschaft, denn sie müssen ja wiedergewählt werden und daher die Erwartung erfüllen, uns die lästigen Zuwanderer und aller Folgeprobleme möglich effektiv vom Leib zu halten. Aber bitte den Teufel nicht mit dem Belzebub austreiben: Die Meinungen zu diesem Themenkomplex der AfD anzunehmen wäre so, also würde man einen Elefanten im Prozellanladen beheimaten und ihn bitten, doch nichts kaputt zu machen. In meinen jungen 1970er Jahren habe ich in einem spannenden Zukunftsroman gelesen wie unser heutiges Fiasko ausgehen könnte: Man baute am Mittelmeer eine riesige unüberwindbare Mauer und stellte dahin eine kleine waffenstarrende Armee auf.

  2. na und, dann bin ich halt auch ein Rechter, weil ja, ich sehe Europa disfunktional und die seit Jahren praktizierte Migrationspolitik als Bedrohung an. Da liegt Kasparek richtig, dieser Zustand gibt den Populisten Aufschwung, sowie das Versagen in anderen Politikbereichen.
    Manipulativ verwendet empfinde ich den Begriff „Schutzsuchende“ und das Verschweigen der Tatsache, das es sich bei der Mehrzahl der Menschen die vor unserer Haustür stehen um Wirtschftsflüchtlinge handelt. Bei allem Respekt, aber es sollte jedem bewusst sein, wir können mit unserem Sozialsystem nicht die halbe Welt beglücken und so ist das „Recht auf Asyl“ auch nicht gedacht !
    Die wenigsten Deutschen verschließen sich vor wirklich Schutzbedürftigen und da sehe ich auch für uns Christen eine dringende Pflicht. Manche Leute sagen, wenn wir die Welt nicht missionieren wollen, sendet Gott die Welt zu uns. Kann man so sehen, ist aber vermutlich auch nur ein Teil der Wahrheit !

    • > na und, dann bin ich halt auch ein Rechter

      Die Bezeichnung ‚rechts‘ hat in den letzten Jahren -leider- einen Wandel erfahren. Zu meiner jüngeren Zeit, so die Ära Kohl, war rechts normal. Etwa 60 % der Bevölkerung waren rechts, 40 % links. Dann aber wollten alle Parteien in die Mitte. Da wurde es dann eng, austauschbar und die Ränder ließen Platz für neue, teilweise unappetitliche Parteien wie Republikaner, Schill-Partei usw.

      Ich finde daher bis heute nichts schlimmes daran, wenn jemand rechts ist. Oder links. Ich finde das normal.

      Schlimm wird es, wenn jemand rechtspopulistisch, linkspopulistisch, rechtsextrem oder linksextrem ist.

      Populismus zeichnet aus, dass er mit Lügen und Halbwahrheiten Stimmungen erzeugen will. Extremismus, dass dieses dann auch zur Gewalt führt. Beides geht auch ineinander über.

      Insofern schauen wir doch mal, ob Du normal rechts bist oder doch zumjndest rechtspopulistisch, sprich ob deine Aussage stimmt oder erlogen ist:

      > das Verschweigen der Tatsache, das es sich bei der Mehrzahl der Menschen die vor unserer Haustür stehen um Wirtschaftsflüchtlinge handelt.

      Mehrzahl heißt: Über 50 %

      Woher kommen die Flüchtlinge und wie viele werden anerkannt (was ja wohl dann ein Beleg ist, dass sie wirklich schutzsuchend sind)

      Zunächst taucht eine Zahl in den Statistiken nicht auf: Die Ukrainer. Weil sie anerkanntermaßen Kriegsflüchtlinge sind, haben sie einen Sonderstatus. Und sind damit auch keine Wirtschaftsflüchtlinge. Das sind etwas über 1 Million

      Nehmen wir dann mal das Jahr 2022 (2023 ist ähnlich, aber es gibt noch keine Dezemberzahlen):
      – die größte Gruppe kommt aus Syrien (71.000)
      – 2.größte Gruppe Afghanistan: ca. 36.000
      – 3größte Gruppe Türkei: ca. 24.000

      Die größte Altergruppe sind übrigens Kinder von 0-15 Jahren: ca. 72.000

      Quelle: https://www.bpb.de/themen/migration-integration/zahlen-zu-asyl/265710/demografie-von-asylsuchenden-in-deutschland/

      Die Gesamtschutzquote bei Syrien liegt bei ca. 90 % (was bei den Zuständen des Bürgerkrieges und der Verfolgung durch die dortige von Russland gestützte Diktatur verständlich ist)
      bei Afghanistan liegt sie bei 83,5 % (wohl auch verstädnlich)
      bei der Türkei bei 27.8 %

      https://de.statista.com/statistik/daten/studie/451967/umfrage/anerkennungsquote-der-asylbewerber-aus-den-hauptherkunftslaendern/

      Wohlgemerk, bei all dem fehlen die Ukrainer.

      Wir sind folglich bei weit über 50 %. Selbst bei strenger Auslegung der Zahlen.

      Das anerkannte Flüchtlinge dann auch versuchen, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen, fordert sogar unser Gesetz. Daran ist also auch nichts verwerfliches.

      Folglich bist Du nicht nur rechts, denn Du arbeitest mit Lügen.

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