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Braucht Glaube Übung?

Gott kann verändernd in unser Leben hineinwirken, wenn wir es zulassen. Das Erfolgsrezept dabei: zusammen mit Gott ein Jesus-gemäßes Leben einüben.

Von Pfarrer Steffen Tiemann

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Viele Jahre habe ich in einem Tischtennisverein gespielt. Der beste Spieler in unserem Verein war zugleich der älteste. Noch mit über 65 Jahren spielte er unfassbar gut. Gegen Bernd hatte man nie eine Chance. Er platzierte die Bälle dermaßen präzise und machte so selten Fehler – es war frustrierend. Bernd war aber nicht nur der älteste und beste Spieler im Verein; er war auch der fleißigste. Keiner trainierte so hart wie er. Keinen Trainingsabend ließ er ausfallen. Immer war er als erster da. Und wenn die anderen japsend auf die Bank plumpsten, stand er noch an der Platte und wollte weiterspielen. Natürlich hatte Bernd Talent für diesen Sport. Doch seine Spielstärke war in erster Linie das Resultat intensiver Übung.

„Vieles im Leben lernen wir durch wiederholtes Handeln“

Was für den Sport gilt, das ist gilt auch für alle anderen Bereiche des Lebens: Nichts lernen wir mit einem Mal. Ob Gitarrespielen, Autofahren oder Tapezieren – alle Fertigkeiten erfordern Übung. Und Übung bedeutet: Wiederholen, wiederholen, wiederholen. Die moderne Hirnforschung weiß, warum das so wichtig ist: Durch wiederholte Handlungen werden in unserem Gehirn neuronale Verbindungen, die sogenannten Synapsen, ausgebaut. Die sorgen dafür, dass unsere Finger die Saiten auf der Gitarre immer leichter finden und der Fuß wie von selbst die Kupplung kommen lässt. Schon Aristoteles, der antike Philosoph, wusste: Vieles im Leben lernen wir nicht durch Theorie, sondern nur durch wiederholtes Handeln.

Aber Moment mal! Was hat denn das mit dem Glauben zu tun? Das Leben als Christ kann man doch nicht mit Tapezieren vergleichen! Da geht es schließlich nicht um ein paar Handgriffe, sondern um Vertrauen, Lieben und Hoffen. Kann man das etwa üben? Ist das nicht etwas, das der Heilige Geist als Frucht in uns entstehen lässt? Und muss das nicht im Herzen wachsen, statt antrainiert zu werden?

Es stimmt: Vertrauen zu Gott und Liebe zu unseren Mitmenschen können wir nicht einfach produzieren. Sie entstehen, wenn Gottes Geist uns mit seiner Kraft berührt. Aber der Heilige Geist wirkt nicht ohne unser Mitwirken. Er arbeitet mit uns zusammen. Und, ja, Vertrauen und Liebe entstehen im Herzen. Aber sie bleiben nichts bloß Innerliches, sondern formen das Verhalten. Wenn ich jemanden liebe, dann äußert sich das im praktischen Handeln. Es geht vom Herzen in die Hände und Füße.

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„Der Körper ist der Sparringpartner unseres Geistes“

Und damit sind wir beim Thema Üben. Denn der Weg vom Herzen in die Hände ist keine Einbahnstraße. Auch das ist etwas, das die Hirnforschung in den letzten Jahrzehnten nachweisen konnte. Was unser Körper tut, beeinflusst den Geist. Mein äußeres Handeln verändert mein Inneres, meine Gedanken und Emotionen. Ihr kennt das sicher von dem Lach-Experiment: Wenn wir uns vor den Spiegel stellen und den Mund zum Lachen verziehen, dann fühlen wir uns anschließend glücklicher. Das äußere, leibliche Tun beeinflusst die Seele. Der Körper ist eben nicht nur das Ausführungsorgan, sondern der Sparringspartner unseres Geistes. Geist und Leib trainieren sich gegenseitig, fordern und fördern sich im Wechselspiel. Das gilt für künstlerische Fähigkeiten, für unsere Gefühle und ebenso für unser Leben als Christ.

Der Glaube drückt sich in Taten aus. Er geht von innen nach außen. Aber die Taten, die aus dem Glauben entstehen, wirken wiederum auf den Glauben zurück. Die konkreten Schritte, die wir aus dem Glauben heraus gehen, stärken unser Vertrauen, selbst wenn wir sie zaghaft tun. Und beim nächsten Mal werden wir sie mutiger tun können. Im Handeln wird also der Glaube ausgeübt und eingeübt.

Diesen Zusammenhang hat übrigens schon Martin Luther erkannt. In seiner Schrift „Von den guten Werken“ schreibt der Reformator: Der Glaube „wächst und kommt zu sich selbst und stärkt also sich selbst durch die Werke. Und also geht er aus in die Werke und kommt wieder durch die Werke zu sich selbst.“

„Zusammen mit Gott ein Jesus-gemäßes Leben einüben“

Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: Freundlichkeit ist eine Frucht, die der Heilige Geist in uns wachsen lässt (Galater 5, 22). Stell Dir vor, ein Mensch wird Christ, der in seinem Leben wenig Freundlichkeit erfahren hat. Er hat es sich angewöhnt, alle Mitmenschen als potenzielle Bedrohung zu betrachten und schaut meist ziemlich verbissen in die Welt. Aber nun ist er von Gottes Liebe berührt worden und hat sein Herz für Jesus geöffnet. Da ist eine neue Kraft in ihm und ein Wunsch, dieser Liebe in seinem Leben Raum zu geben. Er nimmt sich vor, seine Kolleginnen und Kollegen im Büro freundlich anzuschauen statt, wie bisher üblich, griesgrämig auf seinen Computer zu starren. Der Impuls zur Freundlichkeit kommt von Herzen, inspiriert vom Heiligen Geist. Aber jetzt geht es ans Üben. Jetzt geht es darum, die eingefleischte alte Gewohnheit (griesgrämig gucken, Blickkontakt vermeiden) durch ein neues Verhalten zu überschreiben.

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Er schaut seine Kollegin also an, lächelt etwas zaghaft, sagt ein paar freundliche Worte – und erlebt zu seiner Überraschung, dass die Kollegin das ganz nett findet und ebenfalls lächelt. Sein Verhalten hat eine doppelte Wirkung. Es beeinflusst die Kollegin, es beeinflusst aber auch ihn selber. Am nächsten Tag wird es ihm ein ganz kleines bisschen leichter fallen, die anderen im Büro freundlich anzuschauen. Er ist noch immer unsicher und zaghaft. Aber die Hemmung, sich den anderen zuzuwenden, wird allmählich geringer und das freundliche Verhalten immer natürlicher. Sicher wird unser Christenmensch auch Rückschläge erleben. Manchmal werden Menschen hässlich auf seine Freundlichkeit reagieren, und er wird in der Gefahr stehen, in die alten Muster zurückzufallen. Aber durch beständige Übung wird die Freundlichkeit an Stärke gewinnen und seine Umgebung anstecken.

Freundlichkeit ist eine Frucht des Heiligen Geistes und gleichzeitig das Ergebnis von Übung. Das gilt in allen Bereichen unseres Lebens als Christen: Beim Beten und beim Hören auf Gottes Wort, im Umgang mit den Medien und mit unserem Geld, beim Verhalten in der Familie und im Annehmen von Leid und Verlust – in allen Dimensionen unseres Daseins geht es darum, zusammen mit Gott ein Jesus-gemäßes Leben einzuüben.

Gott freut sich mit uns

Ich will es einmal mit einem Bild veranschaulichen: Als unsere Kinder das Fahrradfahren lernten, sind meine Frau und ich mit ihnen auf einen nahegelegenen Schulhof gegangen. Dort war eine große freie Fläche, wo sie üben konnten. Wir hielten ihnen das kleine Fahrrad, zeigten ihnen, wie sie aufsteigen und auf die Pedale treten können. Dann hielten wir von hinten den Sattel fest und einer von uns lief mit, während sie ihre ersten Fahrversuche machten. Auch nach den ersten gefahrenen Metern blieben wir ganz nah, rannten – so gut es ging – hinter dem Rad her, immer bereit, sie zu stützen oder aufzufangen, sobald sie ins Wanken kommen. Wir hielten sie, wir schoben sie. Aber die Kinder mussten natürlich in die Pedale treten. Hätten sie einfach die Beine hochgelegt, dann hätten sie nie das Fahrradfahren erlernt.

So ähnlich ist es mit der Einübung in den christlichen Glauben. Während wir ein neues, Jesus-gemäßes Verhalten ausprobieren, hält Gott uns den Sattel. Er läuft hinter uns her, wenn wir unsere ersten neuen Bewegungen machen. Er freut sich mit, wenn uns etwas gelingt. Er stützt uns, wenn wir wackeln. Er leidet mit, wenn wir fallen und hilft uns neu auf die Beine, wenn wir am Boden liegen. Gott steht nicht als kritischer Beobachter am Schulhofrand unseres Lebens. Er gibt keine Noten auf unsere gute oder schlechte Performance, sondern er ist mit uns unterwegs als unser Freund und Helfer. Bei ihm können wir das Christsein einüben, wie Kinder das Fahrradfahren lernen: Mit spielerischer Ernsthaftigkeit, mit Leidenschaft und Leichtigkeit, getragen von unverdienter Liebe, geschoben von der sanften Kraft des Geistes. In dieser Haltung können wir üben, unverkrampft und voller Hingabe, damit Gottes Liebe mehr und mehr unser Herz verändert.

Steffen Tiemann (Jg. 1962) ist Pfarrer der Auferstehungsgemeinde in Bonn.


Zum Thema Veränderung hat Tiemann das Buch „Sieben Pfade der Veränderung“ geschrieben. Seine geistlichen Gedanken bringt er auch im AUFATMEN-Redaktionsteam ein. 

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4 Kommentare

  1. Selbstverständlich braucht Glaube Übung. Das steht sogar in der Bibel, z.B. 1. Tim. 4,7 „Übe dich aber zur Glückseligkeit“. Das hier im Text aufgenommene Bild vom Sport, wurde mir auch in einer Traumvision gezeigt – s. https://manfredreichelt.wordpress.com/2018/07/14/uebung-macht-den-meister/ – . Das wurde mir zu einem wichtigem Impuls, der mich kraftvoll vorwärts brachte. Unser natürliches Erleben muss ja durch das Bewusstsein unserer wahren Natur transformiert werden. Niemand macht das für uns.

  2. Wir sind Dunkelheit und Licht

    Der holländische Autor Rutger Bregmann hält den Menschen (ansich) für gut. Dies kann man offensichtlich durchaus auch beweisen. Etwa weil Menschen in Katastrophen zusammenhalten und kooperieren. Die wahre Geschichte von „Herr der Fliegen“ wäre daher verfälscht worden, denn die ausgebüchsten Jugendliche in der Südsee, die mit einem Segler aufbrachen, strandeten wie Robinson auf einer einsamen Insel. Allerdings in der wirklichen Geschichte war dies alles sehr positiv. Statt Krieg fand dort Kooperation statt. Die fünf Jugendlichen von 13 bis 16 Jahre wurden erst nach 15 Monaten gerettet, nachdem zuhause die Trauergottesdienste lange stattfanden. Sie hatten auf der Insel eine Minikommune aufgebaut mit Sportgeräten, singen und beten am Abend und mit Hühnerställen. Wenn zwei sich stritten, wurden sie für einen Tag an entgegengesetzte Teile der Insel geschickt und haben sich dann am Abend entschuldigt. Menschen werden bessere Menschen immer in Katastrophen. Damit will ich sagen: Emotionale Intelligenz scheint geeignet dafür zu sein zu siegen. Daher glaube ich auch, dass einst die Schwerter zu Pflugscharen werden, was ja so auch in der Bibel steht. Der Krieg wird einst wirklich geächtet werden. Leute aus der Hamas, die Herren Stalin, Hitler und die Putins aller Schatterierungen haben keine wirkliche Zukunft. Der Neandertaler hatte zwar das größere Gehirn, sogar noch mehr Intelligenz als der neuzeitliche Mensch, aber wegen fehlender emotionaler Intelligenz starb er aus.

    Ich glaube daher auch, was der Autor in der Überschrift schreibt: „Gott kann verändernd in unser Leben hineinwirken, wenn wir es zulassen“!. Das wirkliche Erfolgsrezept dabei ist: „Zusammen mit Gott ein Jesus-gemäßes Leben einüben“! Und selbstverständlich kann man dies trainieren und damit auch jene Intelligenz, die vom Herzen und aus der Liebe heraus zu Gott und den Menschen geschieht. Aber ist der Mensch nicht böse von Jugend auf? Das ist ebenso auch unsere Alltagserfahrung. Vielleicht ist eher beides wahr, wenn auch auf Wahrheit und Klarheit beruht, dass wir (eigentlich) ein Ebenbild der Liebe Gottes sein sollten (bildlich gesehen seine Liebe auffangen und weitergeben). Die Frage ist dabei immer, wer Hausrecht in unserem Leben hat: Denn über dieses Hausrecht in unserer Seele zu bestimmen haben wir in unserer Freiheit: Nämlich für Gott oder den Nichtgott, die Liebe oder die Lieblosigkeit. Vielleicht sind wir Menschen wie Rohdiamenten. Wenn wir uns in die liebende Hand Gottes geben, werden wir unbedingt zu einem Schmuckstück.

    Es gibt viele (psychologische) Erzählung von kratzbürstigen Menschen (dort meist Jugendlichen), die in liebevolle Umgebungen mit liebevollen Menschen gegeben, die sie positiv bekräftigen und ihre guten Seiten herausstellten, dann bald ebensolche Menschen wurden. Nur eines ist sowohl psychologisch richtig und glaubensmäßig: Wir alle haben auch einen Abgrund in uns, der wie eine eigene Instanz ist, gegen Gott opponiert und in den jeder Mensch hineinfallen kann: Wir können die Neuen Menschen nach Jesus sein, oder die alten Wichte gemäß Adam, dessen Sohn auch der erste Mörder wurde: Wenn wir unsere Grenzen überschreiten und nicht Jesus Glaubenszusammenfassung im Herze tragen: Gott zu lieben, unseren Nächsten und uns selbst. Die Bergpredigt gibt uns einen praktischen Tipp, wie man mit dem Nebenmenschen immer umzugehen vermag: „Lege an einen Mitmenschen nie einen anderen Maßstab an als an dich selbst“! Ich halte dies aus praktischen Erwägungen für durchaus schwierig und dazu muss jeder wirklich Geduld und Nachhaltigkeit bei sich selbst mitbringen.

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