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Leben mit dem Down-Syndrom: Beate, Oskar und die wilde 21

Notkaiserschnitt. Diagnose: Trisomie 21. Keine Gratulation, nur die Diagnose. Nicht erst seit ihr Sohn Oskar mit dem Down-Syndrom geboren wurde, engagiert sich Beate Maak dafür, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.

Von Ann-Kristin Wagner

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Sie sind mir manchmal etwas unheimlich. Frauen, die Kinder und Beruf scheinbar locker-flockig unter einen Hut kriegen. Die dazu noch mindestens ein Ehrenamt ausüben. Und, na klar, ein nett anzuschauendes, buntes Instagram-Profil besitzen. Beate Maak ist so eine Frau. Um es gleich vorwegzunehmen: Das Treffen mit ihr hat mich eines Besseren belehrt. Denn hinter ihrem Engagement steckt kein Machen um des Machens willen, sondern ganz viel Herzblut und die Überzeugung, diese Welt mit dem eigenen Beitrag ein klein wenig besser zu machen.

Leben mit speziellen Herausforderungen

So mache ich mich an einem Montagnachmittag auf den Weg nach Willinghusen, das Dorf bei Hamburg, in dem Beate mit ihrem Mann Klaus und den vier Kindern lebt. Auf ihrem Instagram-Account @beate_oskar_und_die_ wilde21_ habe ich mich vorher schon ein bisschen über die Familie informiert. Dort erfahre ich, dass es sich bei Oskar nicht etwa um den Titelhelden eines Kinderkrimis handelt, sondern um Beates fünfjährigen Sohn, der das Down-Syndrom hat. Auf Instagram zeigt Beate vor allem Alltag aus ihrer und aus Oskars Sicht. Zwischen süßen Fotos und lustigen Videos sind auch ernstere Töne zu finden, denn ein Leben mit einem „Baby-Boy mit kleiner Extraausstattung“ (O-Ton Beate) bringt gewisse Herausforderungen mit sich. Auf Beates Seite erfahre ich auch, dass sie und ihr Mann in der Dorfgemeinschaft aktiv sind und ein ehemaliges Bauernhaus zu einem modernen Haus der Begegnung umgestaltet haben.

Eine, die Menschen verbindet

Wer ist Beate Maak? „Ich bin eine Netzwerkerin“, antwortet sie ziemlich schnell. „Ich bin nicht diejenige, die etwas tut oder umsetzt, sondern die, die Menschen verbindet.“ Weiter erzählt sie: „Nach der Geburt von Oskar war klar, dass es so viele Dinge gibt, die sich verändern müssen. Im Gesundheitswesen, in der Beratung, im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Du bekommst ein Kind, es hat eine Diagnose und du musst damit irgendwie klarkommen. Bei uns sind anfangs ganz viele Fehler passiert.“ Schnell habe sie sich mit anderen Eltern, deren Kinder ebenfalls von der Diagnose betroffen sind, ausgetauscht und vernetzt. Daraus sind Freundschaften entstanden, die bis heute bestehen. Unter anderem lernt Beate eine andere Mutter kennen, die eine aus der Not geborene Idee hat: ein Heft mit Briefen von Müttern an Mütter zu gestalten. So schreibt Beate einen Brief an sich selbst, mit dem Wissensschatz, den sie heute hat. Die Hefte werden gedruckt und gehen an Eltern, Krankenhäuser, Arzt- und Hebammenpraxen raus. „Ich war nicht diejenige, die diese Hefte gedruckt oder fertiggestellt hat“, erklärt Beate. „Ich habe meine Freundin damals angestoßen, das Projekt zu wagen.“

„Ich wünsche mir, dass Menschen mit Behinderung genauso sichtbar sind und genauso ihren Anteil an der Gesellschaft haben.“

Beate Maak

Der Wunsch nach Inklusion

Als Angehörige eines Kindes mit Down-Syndrom durfte sie letztes Jahr nach Brüssel reisen, um dort mit Abgeordneten im Europa-Parlament über das Thema zu diskutieren und Informationen aus erster Hand zu liefern. In Brüssel trifft sie die junge Aktivistin Nathalie Dedreux, die das Down-Syndrom hat und sich für die Inklusion von Menschen mit diesem einsetzt. Nathalies Engagement begeistert Beate so nachhaltig, dass sie sich für die Kommunalwahl ihres Wahlkreises aufstellen lässt. „Inklusion in Schule und Kita beschäftigt mich sehr“, sagt sie, aber es sei ein nur schwer umsetzbares Thema, wie sie selbst mit Oskar erfahren hat. So würden Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen in einer Art Parallelwelt leben. „Klar, manchmal fühle ich mich sicher in dieser Welt“, fügt sie hinzu, „aber eigentlich wünsche ich mir, dass beide Welten zusammenkommen. Dass Menschen mit Behinderung genauso sichtbar sind und genauso ihren Anteil an der Gesellschaft haben.“ Da es im Umkreis keinen Integrationsplatz in einer Kita gibt, muss Oskar täglich in eine elf Kilomenter entfernte Kita gebracht werden.

Viel mehr als eine Diagnose

Die Realität ist hart: Neun von zehn Kindern mit Down-Syndrom kommen in Deutschland nicht auf die Welt. Ich halte die Broschüre Von Mutter zu Mutter in der Hand, die so passend überschrieben ist mit „Hätten wir nur gewusst, es wird gut“. So auch bei Beate. In dem Brief an sich selbst schreibt sie: „Notkaiserschnitt. Aufwachraum. Diagnose: Trisomie 21. Keine Gratulation, nur die Diagnose. Es hat lange gebraucht und war ein tiefes Tal der Tränen […]. Zeit vergeht, Wunden heilen. Du wirst innerlich wachsen. Aber vor allem wirst du lieben. Du wirst dieses Kind lieben, nicht mehr und nicht weniger als deine Mädchen und doch anders. Euch verbindet der Kampf um und ins Leben.“

Beate erlebt, dass sie „feinfühliger und doch stärker“ wird und dass keine der anfänglichen Ängste eintreten. „Das Down-Syndrom wirst du irgendwann nicht mehr sehen“, stellt sie fest. Kurz nach Oskars Geburt erhalten Beate und Klaus die Diagnose. Die beiden werden oft gefragt, ob sie davon gewusst hätten. Die Frage „Was macht man mit diesem Wissen, vor allem auch als Christ?“ beschäftigt Beate. Denn nicht nur Oskar hat eine Genveränderung. Seine älteste Schwester Mia bekam mit sieben Jahren die Diagnose Ullrich-Turner-Syndrom; eine Anomalie der Geschlechtschromosomen, die mit Kleinwüchsigkeit einhergeht und einer Hormontherapie bedarf. Aber auch bei Mia dürfen Maaks erleben, dass es gut wird. „Sie hat vor Kurzem ihr Abi gemacht und fährt Auto – mit 1,52 Körpergröße“, erzählt Beate stolz.

In der der Dorfgemeinschaft aktiv

Schon vor Oskars Geburt waren die Maaks in ihrer Dorfgemeinschaft aktiv. Da sich die Menschen aus dem Dorf nur schwer in die Gemeinde am Stadtrand einladen ließen, kamen Beate und Klaus auf die Idee, ein altes Bauernhaus im Dorf zu sanieren, um es als Gemeinschaftshaus nutzen zu können. Nach viel Mühe, Schweiß und sicherlich auch der ein oder anderen Träne steht heute die kleine, aber feine Rhabarberkate in Willinghusen. Im Erdgeschoss finden verschiedene Kurse (Eltern-Kind, Erste Hilfe, Yoga) statt und im großen Büroraum in der oberen Etage werden Arbeitsplätze an Selbstständige vermietet. Auch hier sieht sich Beate in der Rolle der Netzwerkerin: „Ich bin nicht diejenige, die Kurse in der Rhabarberkate gibt. Ich gebe den Raum und die Möglichkeit, dort Kurse anzubieten.“ Auf Instagram beschreibt sie sich an einer Stelle als eine Spinne im Netz, die die Fäden zusammenbringt. „Es ist so spannend. Ich lerne immer wieder neue Leute kennen und jeder bringt von sich aus etwas Neues mit. Diese Fäden nehme ich auf und versuche, sie weiter zu verbinden. Ich muss schauen: Ist es meine Aufgabe, den Faden zu halten oder ihn zu verbinden? So ist das in den vielen verschiedenen Bereichen, in denen ich aktiv bin.“ Schmunzelnd fügt sie hinzu: „Ich kann mich für viele Sachen gut begeistern. Vielleicht manchmal für zu viele.“ Für einen kurzen Moment bin ich erleichtert, dass eine Powerfrau wie Beate das zugeben kann.

Beate Maak mit ihrem Sohn Oskar. (Foto: privat)

Gott sieht mich

Neue Kraft für ihre Herzensprojekte sammelt Beate auf „ihrem“ Stück Feld, das sie am Dorfrand von einem Bauern gemietet hat. Dorthin verkrümelt sie sich gerne und wühlt zwischen Kohlrabi, Zucchini und Kartoffeln. Bei Podcasts, guten Gedanken oder einer Predigt auf den Ohren kann sie auf dem Feld gut abschalten. „Ich begegne dort auch Gott“, sagt sie nachdenklich. „Ob es in der Nachtigall ist, die singt, wenn ich abends als Letzte vom Feld gehe oder in dem Kürbis, den ich gesät, wachsen gesehen und riesengroß geerntet habe.“ Hier bekommt sie den nötigen Abstand zu den Dingen des Alltags und einen klaren Kopf. Wichtig war für Beate zu lernen, Nein zu sagen. Zu Angeboten, aber auch in Beziehungen. Eine schmerzhafte Erfahrung, die Familie Maak auch in Gemeinde machen musste. Im Hinblick auf die schweren Momente ihres Lebens ist es Beate wichtig, ehrlich mit sich selbst und vor Gott zu werden: „Meine christliche Hebamme hat damals zu mir gesagt: ‚Ich glaube, du brauchst viel Zeit, um Gott deine Fragen irgendwann stellen zu können.‘ Ja, ich darf sauer sein. Ich darf enttäuscht sein. Weil das Leben gerade in eine komplett andere Richtung geht, als man es sich vorgestellt hat.“ Sie brauchte Kraft von oben, um mit den Herausforderungen umgehen zu können. Dennoch ist sie sich sicher, dass Gott sie sieht. „Auch wenn ich ihn nicht immer sehe, er sieht mich und meine Situation. Ich bin mir sehr sicher, dass er mir immer die richtigen Menschen in den Weg stellt.“

Dankbar für die wichtigen Dinge

Für vieles in ihrem Leben ist Beate dankbar. Für die Menschen, denen sie gerade auch durch die unbequemen Umstände begegnet ist. Für Frieden, den sie inzwischen in Beziehungen und über Dingen hat. Dabei haben sie und die Familie den Blick geschärft bekommen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Sie haben gelernt, dass es immer weitergeht. „Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“, weiß Beate. Gerade in der Coronazeit, als die Rhabarberkate zeitweilig geschlossen war, durfte sie lernen, den Zustand auszuhalten, auf Gott zu vertrauen und zu erleben, dass sie und ihre Familie gut versorgt wurden.

Von dieser Versorgung bekomme auch ich zum Schluss meines Besuchs noch etwas ab. Zusammen mit Beate wandere ich zu ihrem Stück Feld, und auch der einsetzende Platzregen hindert uns nicht, die reiche Ernte zu bewundern und ein wenig im Dreck zu wühlen, um mir eine Zucchini und einen Kohlrabi zu sichern. So sitze ich später ziemlich nass, aber irgendwie beseelt im Bus und stelle fest, dass auch ich es bin: dankbar. Für eine Begegnung mit der Netzwerkerin Beate, ihrem Oskar und der wilden 21.

Ann-Kristin Wagner arbeitet an einer Hamburger Schule in der Nachmittagsbetreuung.

Die im Artikel erwähnte Broschüre „Von Mutter zu Mutter“ ist über die Website vonmutterzumutter.de erhältlich.


Dieses Porträt ist in der Zeitschrift Joyce erschienen. Joyce gehört wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag.

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