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Pater Anselm Grün: „Träume sind die vergessene Sprache Gottes“

Josef, Petrus und Paulus – zu jedem von ihnen hat Gott durch Träume gesprochen. Pater Anselm Grün erklärt, was Träume sind, wie man sie deutet und warum Albträume gut sind.

Hallo Pater Anselm, was war Ihr letzter Traum?

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Pater Anselm Grün: Ich habe einen Kurs gehalten für junge Leute. Dabei hatte ich das Gefühl, dass die gar nicht richtig zuhören. Deshalb habe ich sie dann zurechtgewiesen. Der Traum hat mir gezeigt, dass ich dieses Thema genauer anschauen muss. Früher habe ich viele Jugendkurse gehalten, aber das ist jetzt vorbei.

Können Sie sich noch an Träume aus Ihrer Kindheit erinnern?

Grün: Nicht sehr viel. An einen kann ich mich erinnern, weil ich Schaden davongetragen habe. Ich habe vom Fußballspielen geträumt. Beim Torschuss habe ich gegen die Wand getreten und meinen großen Zeh verletzt.

Was sind Träume?

Grün: Träume sind Bilder aus dem Unbewussten, die uns in der Nacht erscheinen. Die haben teilweise auch Bedeutungen, die man psychologisch deuten kann. Träume geben uns Zugang zum Unbewussten. Die Bibel sagt, dass Gott die Träume schickt. Josef war ein großer Träumer. Er hat auch die Träume des Pharaos gedeutet und daraufhin die Politik Ägyptens mitbestimmt. Träume sind keine Schäume. Ein Theologe hat mal gesagt: Träume sind die vergessene Sprache Gottes. Es ist aber auch wichtig, den Traum richtig zu verstehen.

„Die Träume von Josef deuten die Realität“

Welche Rolle spielt der Traum in der Bibel und der geistlichen Tradition?

Grün: Im Alten Testament gibt es Josef, den Träumer. Normalerweise hat Gott durch Träume zu den Menschen gesprochen. Nur bei Mose von Angesicht zu Angesicht. Im Neuen Testament rund um die Geburt Jesu deuten die Träume von Josef die Realität. Sie erklären ihm die Hintergründe der Geschehnisse: Dass Marias Kind von Gott ist. Und Josef gehorcht den Träumen. Er nimmt Frau und Kind und flieht nach Ägypten.

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Gibt es noch weitere Beispiele?

Grün: In der Apostelgeschichte gibt ein Traum im Mittagsschlaf Petrus den Mut, zu den Heiden zu gehen. Paulus träumt in Troas, dass er nach Europa gehen soll. Man kann sagen: Der Traum hat in der frühen Kirche die Heiden- und Europamission initiiert. Er hat Mut gegeben, Grenzen zu überschreiten. Schaut man in die geistliche Tradition, sticht das Traumbuch von Bischof Sinesius heraus. Er sagt: Um die Seele zu verstehen, muss ich auch die Träume verstehen. Gott will mir durch Träume etwas sagen.

Was gibt es da zu beachten?

Grün: Ich würde zwischen drei Bedeutungen von Träumen unterscheiden. Ein Traum kann mir zeigen, wie es mir geht. Das sind zum Beispiel Träume von meinem chaotischen Zimmer, meinem verlorenen Auto oder dem verlorenen Türschlüssel. Das sind Warnungen. Sie zeigen dir dein inneres Chaos und ermahnen dich, mit dir selbst wieder in Kontakt zu kommen. Dann gibt es Verheißungsträume, die mir etwas Gutes sagen. Wenn ein Kind in meinen Träumen auftaucht, heißt das meistens, dass ich in Berührung komme mit meinem eigentlichen Selbst. Die spirituellen oder religiösen Träume handeln von Kirchen, christlichen Ritualen und Symbolen. Manchmal hört man auch Gottes Stimme oder Jesus sitzt neben einem. Wird eine Kirche umgebaut, kann das darauf hinweisen, dass sich meine innere religiöse Situation im Umbruch befindet.

„Die Bedeutung lässt sich nicht im Lexikon nachschlagen“

Und wie deute ich diese Traumbilder?

Grün: Beim Psychologen Carl Gustav Jung gibt es Deutungen auf der Objektstufe und auf der Subjektstufe. Ein Beispiel: Ich habe tagsüber mit jemandem gesprochen und träume dann in der Nacht, dass er krank ist. Auf der Objektstufe sagt mir der Traum etwas über den anderen, was ich im Gespräch nicht wahrgenommen habe. Auf der Subjektstufe ist derjenige ein Teil von mir. Da sollte ich schauen, wofür dieser Mann steht. Welche Seite in mir repräsentiert er?

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Welche Regeln gibt es für einen heilsamen Umgang mit den eigenen Träumen?

Grün: Wenn ich morgens aufwache, einfach mal kurz innehalten und überlegen: War da was? Erst mal ohne zu deuten. Und das dann zum Beispiel Gott im Morgengebet hinhalten: Will Gott mir da etwas sagen? Es gibt auch außergewöhnliche Träume. Da kann es hilfreich sein, sie aufzuschreiben oder aufzumalen. Schon beim Aufschreiben komme ich in Berührung mit dem Inhalt. Da kann ich mich wieder fragen: Was sagt der Traum für mich aus? Welchen Impuls will Gott mir hier geben?

Die Bedeutung lässt sich jedoch nicht im Lexikon nachschlagen. Man kann seinen Traum zum Beispiel verschiedenen Leuten erzählen und sie assoziieren lassen. Vielleicht spürt man dann: Ja, das könnte sein. Vertraue deinen eigenen Gefühlen, höre, was sie sagen. Du musst nicht die Lösung der anderen übernehmen, sondern nur das, was dich innerlich berührt.

Ich dachte immer, dass man in Träumen einfach nur das tagsüber Erlebte verarbeitet.

Grün: Nicht jeder Traum hat eine tiefere Bedeutung. Teilweise wird einfach das Geschehene verarbeitet. Psychologen wissen, wenn man Menschen am Träumen hindert, ist das für die Seele ungesund.

Wie sieht es mit Albträumen aus?

Grün: Manche Menschen haben Angst zu träumen oder wachen nach Albträumen schweißgebadet auf. Aber Albträume sind keine schlechten Träume. Die wollen nur zeigen: Schau mal da hin, was ist das eigentlich?

Geistliche Tradition und Psychologie lassen sich mit Blick auf Träume „fruchtbar kombinieren“, heißt es auf dem Buchrücken Ihres Buches „Träume auf dem geistlichen Weg“. Inwiefern?

Gute Psychologie hilft, die Sprache der Träume zu verstehen. Da braucht man Zugang zu den Mythen oder der Sprache des Unbewussten. Den liefert zum Beispiel C.G. Jung [ein Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie; Anm. d. Red.]. Aber eigentlich ist es dann ein geistliches Thema, weil Träume Impulse sind. Das sieht man am Beispiel von Verfolgungsträumen. Verfolgungsträume sind Schattenträume. Das heißt: Mich verfolgt das, was ich an mir nicht angenommen habe.

„Das, was einen verfolgt, muss nicht immer negativ sein.“

Können Sie ein Beispiel geben?

Grün: Eine Musikstudentin hat regelmäßig geträumt, dass in der Küche ein Mann mit einem Messer auf sie zukommt. Sie fliegt weg, aber er packt sie an der Ferse – und sie wacht auf. Ich habe ihr geraten, den Traum aktiv weiterzuträumen und mit dem Mann zu sprechen.

In der Fortsetzung hat er ihr dann das Messer gegeben. Ein Messer bedeutet, dass ich etwas abschneiden muss. Die Studentin war Perfektionistin und hat nach dem Traum aufgehört, so exzessiv für ihr Musikstudium zu üben. Das, was einen verfolgt, muss nicht immer negativ sein.

Muss ich dieses aktive Weiterträumen lernen?

Grün: Lernen muss man das nicht unbedingt. Stell dir vor, du sitzt allein im Kino und neben dir steht ein Filmapparat, wo dein Traum gespeichert ist. Dann lässt du den Traum weiterlaufen. An der passenden Stelle fragst du: Was willst du mir sagen? Manchmal gelingt es, den Traum weiterlaufen zu lassen, und manchmal nicht. Irgendwann endet der Traum und oft ist dann auch schon eine Lösung da.

„Bei C.G. Jung ist das Unbewusste eine Quelle der Weisheit.“

Sie haben vorhin das Unbewusste erwähnt. Für mich klingt das nach Kontrollverlust, nach Verdrängung, nach (sexuellen) Trieben. Bei Sigmund Freud ist es eine eher negative, bedrohliche Kraft. Sie sehen das anders. Was ist das Unbewusste für Sie?

Grün: Sigmund Freud sieht das Unbewusste wirklich negativ. Bei ihm sind es verdrängte Triebe, meistens sogar verdrängte sexuelle Fantasien. Bei C.G. Jung ist das Unbewusste eine Quelle der Weisheit. Er kennt das persönliche Unbewusste und das kollektive Unbewusste.

Im kollektiven Unbewussten sind die Erfahrungen von Generationen von Menschen gespeichert. Das ist eine innere Weisheit der Seele. Träume bringen uns in Berührung mit diesem kollektiven Unbewussten. Deswegen deutet Jung Träume positiv. Die Weisheit der Seele hebt die erhebliche einseitige, rationale Orientierung der Menschen auf. Manche wollen alles kontrollieren und hören nicht auf die Seele. Die spricht dann einfach zu uns im Traum. Da hinzuhören, das brauchen wir.

„Im Traum gibt es keine Atheisten“

Beim kollektiven Unbewussten spielen auch Archetypen eine Rolle.

Grün: Ja, das sind Bilder und Themen, die universell auftauchen. C.G. Jung hat mal gesagt: „Im Traum gibt es keine Atheisten.“ In Träumen erscheinen bei jedem religiöse Symbole wie die Kugel, der Kreis, das Dreieck oder Kirchen und kirchliche Rituale. Im Traum ist der Mensch offen für Gott.

Ich hatte beim Lesen von C.G. Jung das Gefühl, dass da ein bisschen viel in die Träume reininterpretiert wird. Wie schafft er es, so klar zu sagen, was ein Traum bedeutet?

Grün: Wenn jemand mir seinen Traum erzählt, dann deute ich den Traum nie. Ich frage erst mal: Was waren deine Gefühle, als du aufgewacht bist? Woran hat der Traum dich erinnert? Was kam da hoch? Anschließend erkläre ich, was das Bild meiner Meinung nach bedeuten könnte. Aber: Ich kann niemandem etwas aufdrängen. Ich kann nur helfen. Es gibt auch manche Träume, die lassen sich nicht deuten. Die sollte man einfach stehen lassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Pascal Alius.

Anselm Grün ist Benediktinerpater und Autor spiritueller Bücher. Er lebt in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach.

Buchtipps:


Ausgabe 4/22

Dieser Artikel ist in der Männerzeitschrift MOVO erschienen. MOVO ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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9 Kommentare

  1. Warum darf ein Leser, der sich ernsthaft mit ähnlichen Themen beschäftigt, ab und zu nicht auch auf sich selbst verweisen ?
    Ein solches Geschäftsmodell, verbunden mit Foren, ist nicht kooperativ genug, Das führt zur thematischen Verengung., und auch Unsachlichkeit.
    Was doch schade wäre. bezogen auf ein Thema.

  2. Mir haben Träume in meinem Leben, bei individuellen Entscheidungen und bei der Erkenntnis anderer Menschen, kurz auf vielerlei Art geholfen. Aber man muss sie natürlich auch deuten können. [Link gestrichen]

    Sehr geehrter Herr Reichelt, wir hatten Sie bereits an anderer Stelle gebeten, hier nicht permanent auf Ihre Seite zu verlinken. Siehe Punkt drei der Netiquette. Inhalte bitte hier teilen – danke. MfG, das JDE-Team

      • „Alles, was Gott näher bringt, sollte man nicht streichen.“ Und wer entscheidet das? 😉 Nein, es geht um das teils permanente Verlinken. Bitte hier texten und im Ausnahmefall verlinken – dann ist alles ok.MfG, das Jesus.de-Team

        • Eben. Deshalb sollte man die Entscheidung dem Leser überlassen und keine Vorzensur üben. Falls das Jesus.de-Team mit meinen Darlegungen nicht einverstanden sein sollte, kann man ja die eigene Sicht darlegen. Ich jedenfalls scheue eine Auseinanderstzung nicht.

          • Sehr geehrter Herr Reichelt. Zensur üben Staaten aus, wir haben Nutzungsregeln – so wie jedes Portal. Dort steht: „Auf andere Webseiten sollte nur im Ausnahmefall verlinkt werden, wenn dies für die Diskussion unbedingt nötig ist. Sollte der Eindruck entstehen, dass es um Werbung privater oder gar geschäftlicher Art geht, behält sich Jesus.de vor, diese Links kommentarlos zu entfernen.“

            Diese Regel hat übrigens einen guten Grund. Wir werden nämlich von den Nutzerinnen und Nutzern durchaus für die Links verantwortlich gemacht, die hier veröffentlicht werden. Positiv, wie negativ. Solange in Maßen verlinkt wird, passt das. Nimmt das inflationär zu, müssten wir dauernd überprüfen – und uns dann auch noch rechtfertigen. Das lehrt die Erfahrung, auch aus unserem Forum. Dies ist schon aus Zeitgründen nicht möglich. Sie hatten mehrmals auf ihre Homepage verlinkt. Wir bitten darum, dies nur in Ausnahmefällen zu tun. Inhalte sollten in aller Regel in den Kommentaren stehen, nicht extern. Wir bitten um Verständnis. MfG, das JDE-Team

  3. Träume als die vergessene Sprache Gottes

    „Träume sind (tatsächlich) die vergessene Sprache Gottes“! Da hat Anselm Grün recht. Ich träumte nachts: Jemand steht vor meinem Bett, „geh morgen sofort zu deiner Ärztin, du hast eine schlimme Krankheit“! So war es. Ich hatte keine Symptome, nur diesen eindrücklichen Traum. Und diese Person, war eine Art Traumengel. Die Hausärztin konnte nichts feststellen, nahm mich aber sehr ernst. CT und MRT ergaben einen großen Tumor an der Niere. Aus der angeblich kurzen Operation wurde eine von 5 Stunden, wenn auch minimalinvasiv. Das Gewächs war halb gutartig, wäre aber möglicherweise bösartig geworden. Nach fünf Jahren wuchs nochmals ein gleicher Tumor auf der anderen Niere. Natürlich war es auch mein Unterbewusstsein. Und es war ebenso ein Traum. Sodann ist der Engel keine Realität. Aber sind Engel, Träume und Zukunftsvisionen die sich erfüllen, nicht doch eine ganz andere Art von Realität, also eine himmlische? Heute ist es kein wissenschaftliches Kokolores mehr zu behaupten, dass alles im Universum, und auch manche Menschen, sehr miteinander vernetzt sind. Dann auch nicht mit dem Himmel, denn Gott ist auch eine allesumfassende Wirklichkeit. Ich höre auf meine Träume, da hier Gott so durch sie sprechen will. Als Kind wohnten wir damals im Hause meiner Großeltern. 6Jährigh träumte mir nachts, aus dem Kopf meines Opas würden ganz helle Stichflammen schlagen. In dieser Nacht hatte mein Großvater den ersten seiner 6 Schlaganfällen. Ich könnte fortfahren davon zu erzählen. Hat aber auch damit zu tun dass ich mich grundsätzlich für Träume interessiere. Ich erlebe sie wohl bewusster.

    • Hallo Bernd,

      vielen Dank für die Schilderung dieses eindrücklichen Erlebnisses.

      Liebe Grüße,
      Pascal vom JDE-Team

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