Gottesdienste gibt es in jeder Gemeinde. Für den Austausch über den Glauben sind darüber hinaus Kleingruppen wichtig. Wie kann eine solche Arbeit beginnen?
Von Pfarrerin Anke Wiedekind
Vielleicht ist die Wortwahl „Eine Hauskreisarbeit starten“ fast schon ein bisschen hochgegriffen und möglicherweise im ersten Moment kontraproduktiv, weil sie nahelegt, dass etwas Großes entstehen sollte. Erstmal ist es ja eine ganz einfache Situation: Gestern ein Anruf einer jungen Frau, die neu hinzugezogen ist, heute eine Nachfrage im Gottesdienst.
Menschen melden sich und wünschen sich, in einer Kleingruppe, in einem Hauskreis über ihren Glauben reden zu können, ihn vertiefen zu können. Es gibt aber noch keine kleinen Gruppen. Wie kann man eine Hauskreisarbeit starten als Pastorin, als Pastor, als hauptamtliche Leitungsperson, die das Bedürfnis von Gemeindegliedern sieht und darauf reagieren möchte?
Da, wo geistlicher Hunger zu spüren ist, wo Menschen aus der Gemeinde heraus ein Bedürfnis nach Austausch über Glaubensfragen, geteiltem Glauben und Leben artikulieren, ergibt es Sinn, darauf zu reagieren und dem Wunsch zu entsprechen. Denn Kleingruppen und Hauskreise haben das Potenzial, zu Keimzellen geistlichen Lebens zu werden.
Die Frage, die der Pastorin/die Pastor sich dabei stellen muss, lautet nun: Kann ich diesen Kreis selbst leiten? Können die betreffenden Personen die Leitung selbst organisieren? Brauchen sie eventuell nur eine kleine Starthilfe oder sollte man sie mit einer erfahrenen geistlichen Leitungsperson aus der Gemeinde in Verbindung bringen, die die Leitung übernehmen kann?
Möglicherweise ergibt sich daraus, je nachdem, wie die Frage entschieden wird, ein Begleitungsbedarf. Damit ist bereits ein Startpunkt gesetzt. Sollten sich irgendwann wieder entsprechende Anfragen ergeben, startet ein ähnlicher Prozess: Man verbindet die anfragenden Personen, klärt die Leitungsfrage, bringt den Hauskreis an den Start.
Urbild von Gemeinde im Blick behalten
Ein einzelner Hauskreis ist noch keine Hauskreisarbeit, kann sich aber zu einer solchen entwickeln. Es gibt Gemeinden, die haben zwei bis drei Hauskreise und mehr Bedarf tut sich auch erstmal nicht auf. Das kann an der Organisationsstruktur liegen, dass Menschen viel in Mitarbeiterteams organisiert sind und die Mitarbeit die zeitlichen Budgets ausfüllt. Das kann daran liegen, dass der spirituelle Hunger nicht so ausgeprägt ist. Das kann manchmal auch an räumlichen Gegebenheiten in größer werdenden Gemeindebezirken liegen, die einen Zusammenschluss oder ein Treffen verkomplizieren, oder, oder, oder.
Trotz all der Widrigkeiten ist es sinnvoll, das Urbild von Gemeinde im Blick zu behalten. Die ersten Christinnen und Christen trafen sich im Tempel und in den Häusern (Apg 2,46). Es gab damals also schon beides: die kleineren Gruppen, die einen persönlichen Austausch und gegenseitiges geistliches Tragen ermöglichten, und die gottesdienstlichen Versammlungen, die die Menschen für die Woche stärkten und inspirierten.
Was heißt das? Aus einem kleinen Senfkorn kann eine große Senfpflanze wachsen. Aus einem einzelnen Hauskreis kann sich eine Hauskreisarbeit entwickeln. Das geschieht nicht immer, aber das Potenzial ist da. Es lohnt sich daher, geistlich wachsam zu sein. Sobald der Samen Anstalten macht zu keimen und zu wachsen, kann man ihn in seinem Wachstum durch Hege und Pflege unterstützen. Im Folgenden möchte ich einige Punkte nennen, die dabei von Nutzen sein können:
Lehre
Unabhängig davon, ob Hauskreise vorhanden sind oder der Start einer Hauskreisarbeit in Planung ist: Es ergibt Sinn, in Predigten, über den Wert kleiner Gruppen zu sprechen, in denen Glaube vertieft und geteilt werden kann. Auch wenn diese Gruppen nur punktuell zusammenkommen, vielleicht nur mal in Projektform oder Seminarform. So ist es für die Gemeinde doch wichtig zu erfahren, dass darin ein enormer Schatz zur Weiterentwicklung des eigenen Glaubens liegt. Der Glaube braucht die Erzählgemeinschaft, er braucht das Zeugnis anderer Menschen als Inspirationsquelle.
Struktur
Auch ein kritischer Blick auf die Gemeindestruktur lohnt sich. Erlaubt die Struktur eigentlich Hauskreise? Oder schließt sie es eher aus, weil die Menschen durch die verschiedenen Mitarbeiterteams absorbiert sind? Wo ist der Sitz im Leben für die Menschen in der Gemeinde, dass sie geistlich wachsen können? Gibt es diesen Ort, diese Zeit? Sollte ich als Pastorin/ Pastor zu dem Ergebnis kommen, dass die Struktur meiner Gemeinde für eine Hauskreisarbeit eher kontraproduktiv ist, dann wäre es gut, entsprechend umzubauen, ähnlich wie ein Bauer mit Dung und Ackergerät den Boden auf die Aussaat vorbereitet.
Sehnsucht wecken
Der Wunsch nach Kleingruppen und Hauskreisen setzt voraus, dass Menschen eine spirituelle Sehnsucht haben. Sie haben Fragen, sie suchen, sie wünschen sich etwas für ihr Leben. Sie wollen weiterkommen in ihrem Glauben. Wenn dies nicht vorhanden ist, wird vermutlich auch keine Nachfrage nach Kleingruppen und Hauskreisen auftauchen. Das stellt mich vor die Frage: Wie kann ich diese Sehnsucht wecken, wie kann ich eine Lust, eine Neugier auf spirituelle Erfahrungen in meiner Gemeinde wachrufen? Oft ist sie vorhanden, sie schlummert nur – verborgen unter vielem anderen, was das Leben ausmacht.
Hauskreis-ähnliche Erfahrungen anbieten
Für viele Menschen ist der Weg aus dem Gottesdienst hinein in ein fremdes Wohnzimmer, in dem ein Hauskreis stattfindet, sehr weit. Besonders nach der Pandemie, die die Vereinzelung von Menschen in der Gesellschaft deutlich beflügelt hat. Das heißt, es könnte sinnvoll sein, projekthafte Hauskreis-ähnliche Erfahrungen zu schaffen. Das könnten unverbindliche Abende sein, an denen die Gemeinde wie zu einem Hauskreis zusammenkommt und die Möglichkeit hat, an einem geistlichen Thema zu arbeiten.
Als Gemeindegestaltende muss uns bewusst sein: Gemeinschaft muss wieder neu eingeübt werden, positiv erlebt werden, in kleinen behutsamen Schritten. Hilfreich ist oft, wenn die Veranstaltungen dezidiert den Charakter von Unverbindlichkeit haben, um ein Andocken aus freien Stücken zu ermöglichen.
Ich merke selbst im Schreiben dieses Artikels, dass ich dieses Thema vor zwei bis drei Jahren völlig anders aufbereitet hätte. Corona hat viel verändert – auch in der Kirche. Vielleicht hilft uns das aber noch mal in dem vermeintlich „Kleinen“ das Entwicklungspotenzial zu sehen und den Fokus zu schärfen: Wir wünschen uns Orte, an denen Menschen Glauben und Leben teilen, sich wechselseitig stärken und inspirieren und an denen Glaube und Alltag zueinander finden. Das im Blick behaltend, kann sich viel Gutes entwickeln.
Anke Wiedekind ist Pastorin der ev. Kirchengemeinde Cochem.
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Dieser Artikel ist im HAUSKREISMAGAZIN erschienen. Das HAUSKREISMAGAZIN ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.
Das HAUSKREISMAGAZIN ist für alle gedacht, die den Glauben gemeinsam in ihrer Kleingruppe leben wollen. Jede Ausgabe hilft dabei, die Treffen wertvoll zu gestalten. Mit flexiblen Lektionen zu Bibeltexten, die das Vorbereiten erleichtern.