- Werbung -

Wenn wir vom Früher feuchte Augen kriegen

Pfarrer Sebastian Baer-Henney sieht einen größer werdenden Graben zwischen Kirche und Gesellschaft. Er ruft dazu auf, die eigene Blase zu verlassen und Gott „bei den Menschen zu finden“.

Seit ich klein war, gab es sie. Die beiden Welten. Die tagtägliche Welt und die kirchliche von donnerstags, wenn Jugendgruppe war. Und so einen komischen grauen Streifen dazwischen. Als meine Eltern zum Beispiel anfingen, in den Gottesdienst zu gehen während meines Konfirmationsunterrichtes. In der kirchlichen Welt hatte ich kirchliche Freund:innen. Jugendgruppe. Zeltlager. All sowas, wovon heute Menschen um die Sechzig feuchte Augen kriegen, wenn sie von früher sprechen. In der Welt da draußen, in der Schule und mit einem Großteil meiner Familie spielte dies nur eine untergeordnete Rolle.

- Werbung -

Drinnen und Draußen zusammenbringen

Es war an mir, das irgendwie zusammenzubringen, kein Doppelleben zu führen, sondern ein stimmiges Gesamtbild zu entwerfen. Heraus kam die Sehnsucht nach einer Kirche, die auch für die da draußen relevant ist. Nicht im Sinne eines missionarischen Eifers, sondern in der Überzeugung, dass meine Menschen aus der Schule eigentlich selber auch einen Glauben an Übernatürliches hatten – schließlich hatten sie auch damals schon Glücksbringer dabei, haben geglaubt, dass ihr Verein verloren hat, weil sie nicht im Stadion waren und zündeten keine Zigaretten an Kerzen an. Oft ist dieser Brückenschlag nicht geglückt, und je weiter ich mich in den folgenden Jahrzehnten theologisch und fachlich entwickelt habe, desto stärker habe ich gemerkt, dass dies nicht allein mir so ging, sondern dass das der Grundzustand der Kirche ist. So viele Diskussionen sind so furchtbar binnenkirchlich. Der Abstand zwischen der Kirche und den Menschen wird – bis auf wenige Ausnahmen – dabei eher größer als kleiner. Denn während vor 30 Jahren, als ich Teenager war, noch viele Menschen irgendwie daran andocken konnten, was ich erzählte, hatten sie doch noch so eine Art kulturell überliefertes biblisches und liturgisches Basiswissen, während es also früher noch Brücken gab, werden diese zunehmend weniger, dünner, löchriger. Und so stehe ich einigermaßen ratlos vor vielen Bestrebungen. Es gibt tatsächlich viele tolle Ansätze zum Aufbruch, die aber meiner Meinung nach nicht nach draußen führen. Neue Formen der Predigt sind großartig – die Menschen, die ich vor Augen habe, kommen aber noch nicht mal in die Nähe des Formates. Gleiches gilt für neue Lieder. Zur Stärkung des kirchlichen Fortbestehens aus dem Kern der Mitglieder heraus sind sie sinnvoll, um vielleicht die Konfis zu erreichen, die sich dann nicht alle abwenden – über diesen Raum hinaus hat es aber zu wenig Wirkung.

Lasst uns…demütig in die Welt gehen, um Gott zu finden. Bei den Menschen.

Sebastian Baer-Henney

Wir bleiben sehr unter uns

Ein wenig Hoffnung gibt es dennoch: FreshX ist ein Ansatz, bei dem ich das erste Mal den Eindruck hatte, wirklich neue Menschen jenseits der Ränder der Kirche anzusprechen. Gesamtkirchlich sind wir aber in unseren Ansätzen noch immer viel zu stark auf unserer Seite unterwegs. Als würde man gegen die Wand der Blase rennen, die sich dann auch ein wenig dehnt, am Ende aber kein Durchkommen bietet. Und je mehr wir merken, dass wir nicht ankommen, desto stärker stürzen wir uns in innerkirchliche Belange und diskutieren darüber, wie es wieder so werden kann wie in einer Vergangenheit, die es so nie gab. Als Gemeindepfarrer führe ich diese Kämpfe ständig. Da wird das Kirchenkaffeetrinken ins Gemeindehaus verlegt, weil man da so gemütlich „unter uns“ ist. Und auch jenseits meiner kleinen Arbeitswelt gibt es das: Da werden wahnsinnige Ressourcen in den Erhalt einer Struktur gesteckt, die nur noch dadurch funktioniert, dass die Altersgrenze für Presbyteriumsmenschen hochgesetzt worden ist. Es wird intensiv daran gearbeitet, das Abendmahl, die Liturgie, biblische Stammbäume zu erklären, ohne zu realisieren, dass in der anderen Hälfte (wäre es mal nur die Hälfte) der Republik all dies nur mit einem müden Schulterzucken wahrgenommen wird, ja falls es überhaupt wahrgenommen wird. Derweil werden an Weihnachten die Kirchen leerer und jeden Monat die Austrittslisten (zumindest in unserer Landeskirche) voller. Wohin geht unser Eifer? Das frage ich mich. Habe dabei ein wenig das Gefühl, mir den Mund fusselig zu reden, die Finger wund zu schreiben mit Dingen, die in jedem Unternehmen alle roten Lampen leuchten lassen würden. Natürlich. Wir sind kein Unternehmen. Wir könnten aber doch mal so tun und stärker von denen her denken, die uns als relevant wahrnehmen dürfen. Dann bräuchte es einen wirklichen Aufbruch.

Kleine Schritte sind zu erkennen: Segensbüros, neue Gemeindeformen. Erste Risse in der festen Burg, die unsere Kirche ist. Wir brauchen aber mehr. Viel mehr. Mehr Kreative mit mehr Freiheiten. Mehr Mut mit mehr Loslassen. Mehr Beweglichkeit mit mehr Lust, die Welt zu umarmen. Mehr Vertrauen darin, dass jene Welt außerhalb unserer Kirche gut gemacht ist. Dass diese Menschen nichts wollen, als uns von Gott zu erzählen. Denn das tun sie. In allen ihren Lebensäußerungen bringen sie jenen Gott zu uns, der sie geschaffen hat. Wir aber hören das so wenig. Weil das natürlich anstrengend ist. Weil es Kraft kostet. Weil es uns schwach dastehen lässt, wenn wir unser Scheitern eingestehen. Aber ist nicht Seine Kraft in den Schwachen mächtig? Dann lasst uns zu unserer Schwachheit stehen. Lasst uns sehen, dass wir keine Antworten auf Lager haben. Und dann Antworten suchen. Mit den Menschen dort drüben. Mit Gottes Kraft, die uns als Kirche überhaupt erst ins Leben brachte. Mit großen Ohren und weiten Herzen. Demütig in die Welt gehen, um Gott zu finden. Bei den Menschen.

Loslassen und Umziehen

Denn wenn wir hören. Und daraus bauen. Und mutig sind. Und das tun, was Menschen als Bedürfnisse, als Anspruch an uns formulieren, dann könnte es doch sein, dass wir loslassen lernen. Wie, wenn man umzieht. Erstmal fällt es einem schwer, zu gehen. Je mehr man sich aber dort, am neuen Ort, einlebt, desto weniger schmerzt, was uns kurz zuvor noch unaufgebbar schien. Wer Neues erlebt und merkt, dass das funktioniert, der merkt auf einmal, dass die Identität nicht an all dem Alten hängt. Der kann sich konzentrieren. Dinge bewahren, die wirklich bewahrenswert sind und nicht angststarr alles Mögliche an sich klammern wie ein Messie, der die Unterscheidung zwischen Notwendigem und Überflüssigem verlernt hat. Das haben wir nicht nötig. Wir dürfen frei und leicht werden, wie Jesus selbst das vorgemacht hat. Leicht genug, um über den Graben zur Wirklichkeit all jener zu springen, die uns einfach nicht mehr verstehen, ja nicht einmal mehr verstehen wollen. Und fragend auf sie zuzugehen. Und sagen: Hier bin ich. Lebendig. Endlich wieder.

- Werbung -

Sebastian Baer-Henney ist Pfarrer in Köln Mülheim.


Dieser Artikel ist im Ideenmagazin 3E erschienen. 3E gehört wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag.

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

NEWSLETTER

BLICKPUNKT - unser Tagesrückblick
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

Zuletzt veröffentlicht

1 Kommentar

  1. Die Kirche muss geistbewegter liebevoller werden

    „Pfarrer Sebastian Baer-Henney sieht einen größer werdenden Graben zwischen Kirche und Gesellschaft. Er ruft daher dazu auf, die eigene Blase zu verlassen und Gott „bei den Menschen zu finden“. Drinnen und Draußen möchte er gerne zusammenbringen. Lasst uns demütig in die Welt gehen, um Gott zu finden. Bei den Menschen. Kleine Schritte sind zu erkennen: Segensbüros, neue Gemeindeformen. Erste Risse in der festen Burg, die unsere Kirche ist. Wir brauchen aber mehr: Mehr Kreatiität mit mehr Freiheiten. Mehr Mut mit mehr Loslassen. Mehr Beweglichkeit mit mehr Lust, die Welt zu umarmen. Mehr Vertrauen darin, dass jene Welt außerhalb unserer Kirche gut gemacht ist“! Und ich füge hinzu: Jesus hat zwar in Synagogen gepredigt und auch im Tempel, aber seine Arbeitsplatz war unter den Menschen, auf dem Plätzen und an den Mittagstischen.

    Wir Christinnen und Christen leben in einer Blase. Damit möchte ich nicht sagen es sei nicht schön, es sei nicht erstrebenswert, sondern sehr gut für unsere Seelen und den Glauben, Gemeinschaft zu haben, sozial zu kuscheln, Kerzen anzuzünden und auch die Schönheit des Glaubens zu leben. Allerdings halte ich auch den angeblich katastrophalen Rückgang von Glauben und Vertrauen auf Gott eher für eine leichte Art von nicht ganz richtigem Narrativ. Die Kirchensteuerzahler:innen, die beide große Kirchen mit 3 % Erfolgsdurchschnitt seit den 1970er Jahren erreichten, also die Kerngemeinde sind, gibt es auch heute noch – auch wenn sie in manchen Großstädten wie Schnee unter der Frühlingssonne wegtaut. Nur früher war die Kirche nach jener Studie „“stabil““ – die Leute blieben von der Wiege bis zur Bahre. Austritte waren seltener. Heute sind die Leute, und das halte ich für ehrlicher, wenn auch für Institution Kirche nicht angenehm, e h r l i c h e r. Wer nicht glauben kann, oder mit dem was Kirche macht, zu sehr fremdeln muss, der tritt heutzutage aus. Wenn Atheisten oder Positivisten heute ehrlicher sind, sollten wir es auch sein. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, wo wir unseren Glauben verstecken müssen. Darüber zu reden ist überall möglich. Und alles zu leben was man glaubt.

    Wie man frischen Wind in die Heiligen Hallen bringen kann ist die große Frage. Dies meine ich aber nicht soziologisch und psychologisch, auch nicht werbetechnisch, sondern: Kann man, oder wie kann man DEN HEILIGEN GEIST WEHEN LASSEN ? Allerdings ist diese Frage falsch gestellt, sondern Gottes Geist weht wo er will. Nur dann nicht, wenn wir dies verhindern, ihm Knüppel zwischen die Beine werfen, denn er möchte uns als Werkzeuge und als Medium benutzen, um die Prinzipien des Himmels zu leben und vorzustellen. Dies ist notwendig. Denn in manchen Kirchen, die zu Events noch ganz voll sind, oder am Ewigkeitssonntag bei der Verlesung der Verstorbenen, sitzen am normalen Sonntag manchmal noch ein Dutzend älterer Seelen (ich bin auch schon älter). Wenn sie einmal nicht mehr kommen können, löst sich das Problem – man nehme mir den Hinweis nicht übel – nämlich „biologisch“. So sagte jemand: „Wenn wir nicht mehr sind, gibt es keinen Gottesdienst mehr hier. Dann ist es aus“!

    Ich denke, dass wir an die Hecken und Zäune gehen sollten, als Kirche mit einer größeren „Geh-Hin-Struktur“. Schöne Taufgottesdienste, als Fest einzuladen für alle gestaltet, können am See, dem Fluss oder im Schwimmbad stattfinden. Ein Doppelsignal für die Welt: Wir leben noch – und bei uns Christen gibt es Leben. Die Brüder von Taize und solche die es ihnen nachtun, tun noch mehr: Sie leben auch in anderen Ländern mit armen Menschen eine Weile zusammen. Die Liebe Gottes zu leben macht es zur guten Sache, alte vergessene Zeichen neu aufleben zu lassen, für die bisher alle Gemeindemitglieder dankbar waren: Segnungshandlungen, Salbungen, schöne Gottesdienste im Kerzenschein. Oder die Nacht zum Schlafen mit Kindern und Jugendlichen in der Kirche, mit Geschichten erzählen. Wir müssen auch nicht auf die nächste Katastrophe warten, um uns mit anderen Leuten zusammen zu tun, zu reden, ein Straßenfest zu feiern und uns wie das Salz der Erde und Licht der Welt nicht unter einen Eimer stellen lassen mit der Kirche: Die fest gemauert in den Erden sich nicht zu Menschen bewegen und fahren lässt, wenn wir dies nicht selbst machen. Die Erfahrungen zeigen, dass Menschen immer offen sind für die gute Botschaft von Jesus und der Liebe Gottes. Und sie nehmen uns und unseren Auftrag ernster, wenn wir wie der Berg zum Propheten gehen, statt der Prophet zum Berg. Aber wenn wir nur als müder und lahmer Verein erlebt werden, die Predigt vielleicht nur noch von der KI zusammengestellt und inspiriert wird, die kirchliche Sprache barock bleibt mit samt unserem Christsein wie eine vorborgene Subkultur, dann weinen die Engel im Himmel, eher als dass sie gerne singen. Mit dem Evangelium ist es wie mit dem Essen. Man kann es langweilig zubereiten, es zu wenig würzen, es kaum garnieren und es eher in Hülle und Fülle aber nicht liebevoll auf dem Teller trappieren. Niemand würde, wenn er verliebt ist, seiner großen Liebe so gedankenlos und oberflächliche Aufmerksamkeit schenken, wie wir es oft mit Gott, seinen Gottesdiensten und somit auch mit dem Mitmenschen machen. Der Albtraum eines sehr enttäuschten Menschen erschreckte ihn sehr: Als der Pfarrer auf der Kanzel immer länger und langweiliger predigte, kam ein Engel durch den Mittelgang mit einer Säge, und sägte den Seelsorger dort oben ab. Aber oh Schreck, er redete trotzdem weiter. Seine Selbstwahrnehmung fand der Träumer problematisch und er überprüfte sein Innenleben Sein Fazit: Routine führt dazu, vor lauter Bäumen keinen Wald mehr zu sehen: „Ich muss bei mir anfangen“!

Die Kommentarspalte wurde geschlossen.