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Er weckt mich alle Morgen

Die Entstehung dieses Liedes kann auf den Tag genau datiert werden. Jochen Klepper schrieb es, bevor die Nazis ihn in den Suizid trieben.

  1. Er weckt mich alle Morgen,
    Er weckt mir selbst das Ohr.
    Gott hält sich nicht verborgen,
    führt mir den Tag empor,
    dass ich mit Seinem Worte
    begrüß das neue Licht.
    Schon an der Dämmrung Pforte
    ist Er mir nah und spricht.
  2. Er spricht wie an dem Tage,
    da Er die Welt erschuf.
    Da schweigen Angst und Klage;
    nichts gilt mehr als Sein Ruf.
    Das Wort der ewgen Treue,
    die Gott uns Menschen schwört,
    erfahre ich aufs neue
    so, wie ein Jünger hört.
  3. Er will, dass ich mich füge.
    Ich gehe nicht zurück.
    Hab nur in Ihm Genüge,
    in Seinem Wort mein Glück.
    Ich werde nicht zuschanden,
    wenn ich nur Ihn vernehm.
    Gott löst mich aus den Banden.
    Gott macht mich Ihm genehm.
  4. Er ist mir täglich nahe
    und spricht mich selbst gerecht.
    Was ich von Ihm empfahe,
    gibt sonst kein Herr dem Knecht.
    Wie wohl hat’s hier der Sklave,
    der Herr hält sich bereit,
    dass Er ihn aus dem Schlafe
    zu seinem Dienst geleit.
  5. Er will mich früh umhüllen
    mit Seinem Wort und Licht,
    verheißen und erfüllen,
    damit mir nichts gebricht;
    will vollen Lohn mir zahlen,
    fragt nicht, ob ich versag.
    Sein Wort will helle strahlen,
    wie dunkel auch der Tag.

Jochen Klepper

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Auf den Tag genau

Es gibt nur wenige Lieder, deren Entstehung auf den Tag genau nachzuweisen ist. Der Autor Jochen Klepper hat nämlich ein Tagebuch geführt. Darin findet man seinen Eintrag vom 12. April 1938. Er berichtet von kleinen Einkäufen für das bevorstehende Osterfest und dann folgt der Hinweis, er habe an diesem Tag ein Lied verfasst, ein Lied über einen bestimmten Bibeltext, über „die Worte, die mir den ganzen Tag nicht aus dem Ohr gegangen waren.“

Im Tagebuch sind auch die Bibelverse wörtlich angegeben: Jesaja 50, 4.5.6.7.8. „Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre wie ein Jünger. Der Herr hat mir das Ohr geöffnet; und ich bin nicht ungehorsam und gehe nicht zurück. Denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. Er ist nahe, der mich gerecht spricht.“

Von den Nazis in den Tod getrieben

Worum geht es im Lied „Er weckt mich alle Morgen“? In allen Strophen ist vom Handeln Gottes die Rede! ER steht im Vordergrund. Sein Wort bestimmt von Anfang an das Geschehen und Ergehen der Welt und der menschlichen Existenz, auch und gerade in schwierigen Zeiten, wie sie Klepper erlebt und vielfach erlitten hat. Er wurde während der Zeit des Nationalsozialismus wegen seiner „nichtarischen“ Ehefrau ausgegrenzt und drangsaliert und nahm sich schließlich 1942 das Leben. Seine Frau und seine jüngste Tochter sollten deportiert werden. Dieses Leid spiegelt sich in etlichen Wörtern des Liedtextes wider. Doch Gottes Treue zu uns, zu den ihm vertrauenden Menschen hat festen Bestand!

Bei einer der Strophen gibt es in Wortwahl und Reim eine für das heutige Empfinden sprachliche Stolperstelle. Das muss man hinnehmen. Inhaltlich hilft ein Blick in das Gleichnis „Von den Arbeitern im Weinberg“ (Matthäus 20,1-16). Da ist die Rede davon, dass Gott alle in gleicher Weise belohnen will, egal ob Freischaffende, Angestellte, Zwangsarbeiter oder Sklaven, also „Leibeigene“. Ja, Gott umgibt alle, die ihm Dienst leisten, täglich mit dem notwendigen Schutz. Und vor allem mit seinem erhellenden Wort, das gerade in dunklen Zeiten, wie sie Klepper erlebt und erlitten hat, so wichtig ist.

Melodie verknüpft Trost und Freude

1938 erschien in Berlin-Steglitz die erste Auflage einer Sammlung ausgewählter Texte Kleppers. Allen 16 Liedtexten darin sind Bibeltexte vorangestellt. Die Sammlung beginnt mit dem Lied „Er weckt mich alle Morgen“. Das ist aber kein Zufall, denn eine inhaltliche Reihenfolge wird eingehalten.

Auch die bis heute mit dem Text fest verbundene Melodie ließ nicht lange auf sich warten. Sie entstand 1941. Rudolf Zöbeley vertonte das Lied. Einige halten die Melodie für nicht ganz dem Text angemessen. Welche Melodie Klepper selbst im Kopf gehabt haben könnte, weiß man nicht. Vielleicht „Befiehl du deine Wege“? Die neue Melodie mit ihrem fast frohlockenden Ton verknüpft Trost und Freude. Das wird angesichts der immer bedrohlicheren Lage damals (Krieg!) manchen gutgetan haben – eine tröstliche und fröhliche Kombination von Text und Melodie.

Das Lied „Er weckt mich alle Morgen“ hat inzwischen seinen Platz im Wochenliedplan der Evangelischen Kirche gefunden. Es ist aber zugleich ein für alle Tage des Jahres geeignetes Lied, zu singen nicht nur im Gottesdienst, sondern zum Beispiel auch daheim. Wie heißt es im Tagebuch Kleppers? „Ich schrieb heute ein Morgenlied […]“.

Text: Günter Balders


Hier findest du gute Gedanken zu weiteren altbekannten Chorälen und christlichen Liedern.

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