Kolumne

Reformationstag: Wo stehe ich, weil ich nicht anders kann?

Martin Luther riskierte sein Leben für den reformatorischen Glauben – in der Gewissheit, Gott an seiner Seite zu haben. Haben wir die auch?

Von Tom Laengner

Verbindliche Berufskleidung, also den Talar, gibt es für Pastorinnen und Pastoren erst seit 1811. Hatte ich noch nicht gewusst! Sicher war Martin Luther im 16. Jahrhundert der Ideengeber. Aber juristisch festgezurrt wurde das luftige Schwarze erst durch eine Kabinettsorder von Preußenkönig Friedrich Wilhem III. Wofür der Mann sich alles Zeit genommen hat, mein lieber Schwan! Doch, was hätte Martin Luther dazu gesagt?

Zumindest wurde eine Bekleidungsfrage in der EKD damit bis heute gelöst. Eine Sorge weniger; immerhin. Dass 504 Jahre nach Veröffentlichung der 95 Thesen in die Kirche kaum noch jemand geht, hat wahrscheinlich weniger mit der Kleiderordnung zu tun.

„Allein durch den Glauben“

Dabei war die Reformation doch eine gewaltige Sache. „Allein durch den Glauben“ machte Schluss mit der Manipulation, Druck und dem Spiel mit der Angst. Durch die Reformation verdampfte der Ablasshandel nahezu und wurde von Papst Pius V. im Jahre 1570 endgültig unter Strafe gestellt. Schluss mit lustig!

In meinen Ohren mag Sündenablass skurril bis lächerlich klingt. Luther kostete der Streit darum fast sein Leben. Mit der Kirche legte man sich zu seiner Zeit besser nicht an. Sie herrschte mit nahezu uneingeschränkter Macht. Politik, Bildung, Kommunikation und Wirtschaft lagen in ihrer Hand. Und dann kommt dieser Pastor mit „Sola fide“.

Keine Frage: Luthers Verhältnis zu Frauen, dem jüdischen Volk oder zum Staat lassen ihn als Ikone und Orientierungshilfe für Lebensfragen nicht zu. Aber war er deshalb nicht zumindest ein mutiger Mann?

Luther setzte alles auf eine Karte

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, waren 1521 nicht die Worte eines Mannes, der auf den Bus wartet. Luther setzte damit alles auf eine Karte. Heute klingt ‚alleine durch den Glauben‘ wie ein guter Deal für mich. Ewiges Leben zum Nulltarif? Jackpot? Luther und alle, die seine Ideen für maßgeblich hielten, riskierten ihre bürgerliche Existenz. Mit wenigen Worten stellte Luther sich gegen ein gesellschaftliches System, dem er nicht völlig zustimmte. Das tat er aus dem Glauben heraus. Er handelte so, als vertraute er darauf, dass Gott auf seiner Seite stehen würde. Luther hielt nicht einfach biblische Sätze für wahr. Für mich stellt sich die Frage: Was bin ich bereit, allein aus dem Glauben zu riskieren? Oder anders: Was muss ich in Angriff nehmen, weil ich es für das Richtige halte, auch wenn es mich viel kostet? So verstehe ich die Grundhaltung jeder Reformation.

Leider war es mir nicht vergönnt, den Mann aus Wittenberg persönlich kennenzulernen. So stelle ich ihn mir vor, wie er etwas ratlos Lutherkekse in den Händen dreht und wendet, sich als Playmobilfigur im Onlineshop sieht oder am geschmückten Weihnachtsbaum ungläubig in eine Lutherkugel starrt. Also, ich weiß nicht. Ich als Luther fände das richtig scheiße! Aber ich bin nicht Luther. Weniger dünnes Eis betrete ich mit dem Gedanken, dass er wohl felsenfest davon überzeugt war, dass Gott hinter ihm stand. Bin ich das auch? Es wird sich daran zeigen, wie ich handele. Meine Meinungen, und was ich für grundsätzlich richtig halte, wird dann belanglos.

Luther ist nicht vom Himmel gefallen. Ohne Jesus und Gott hätte es diese Art von Reformator nicht gegeben. Jesus war sozusagen der Prototyp eines Martin Luthers. Und Ersterer sagte: ‚Vater unser, geheiligt sei dein Name‘. Früher dachte ich, der Keks sei gegessen, wenn ich nicht ‚oh my God‘ herausquietsche. Heute frage ich mich, was ich dazu beitragen kann, dass der Name Gottes geheiligt wird. Kann ich meinen Gott ein klein wenig stolz machen auf mich? Sollte das möglich sein, würde ich dabei doch glatt zehn Zentimeter größer! So wie ich das sehe, muss ich dafür nicht perfekt sein. Aber im Vertrauen auf seine Unterstützung mich aus dem Fenster lehnen. Das muss drin sein. Soviel steht fest.

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