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Happy Caravan: Schule für Flüchtlingskinder

Kinder und Familien sind grundsätzlich Zielgruppen, die keine große Lobby haben und schnell vergessen werden. Eine der sympathischsten Flüchtlingsorganisationen nimmt sich ihrer nun an.

Als ich gerade meinen Führerschein hatte, lieh ich mir regelmäßig einen alten Volvo, um mit Freunden eine abgelegene Großraumdisko zu besuchen. Das Auto hatte noch ein Kassettendeck und war vollgestopft mit selbstgemachten Mixtapes. Aus dieser Zeit stammt ein Lied, das ich noch immer gerne höre: „If Jesus drove a Motor Home“ von Jim White, der darüber spekuliert, wie schnell Jesus wohl fahren, bei welchem Drive-in er halten und wer zu seiner Crew gehören würde. Das Lied endet mit den Zeilen:

„If we all drove Motor homes, well maybe in the end, with no country to die for, we could just be friends. One world as our highway. Ain’t no yours or my way. We’d be cool wherever we roam – if Jesus drove a motor home.“

Stellt euch mal so einen Konvoi vor: Wer wäre mit dabei? Saubere Elektroautos von Tesla? Das Papamobil des Papstes? Ich sowieso – in meinem alten Citroën C1! Und ich bin mir sicher, dass der Happy Caravan einen Ehrenplatz in der Kolonne bekommen würde.

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Freude für vergessene Flüchtlingskinder

Aber mal ganz von vorne: Was ist der Happy Caravan eigentlich? Ursprünglich handelte es sich dabei um einen alten Container im griechischen Flüchtlingslager Skaramangas. Nicht so bekannt wie Moria auf Lesbos, und darum auch oft übergangen bei Hilfslieferungen und Anteilnahme. 2017 strandet hier der Syrer Alaeddin Janid. Die Tage dort sind lang und leer, und unter den 3.000 Flüchtlingen befinden sich viele Kinder. Kultusministerium, Lehrerverbände und lokale Schulen sind weit weg, die Familien weitestgehend sich selbst überlassen. Um der Lethargie etwas entgegenzusetzen, beginnt Alaeddin, mit einem alten Fernseher und Zeichentrickfilmen den Kindern ein bisschen Englisch beizubringen.

Als er in die Niederlande ausreisen darf und eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, fühlt er sich erleichtert – kann aber die zurückgebliebenen Familien nicht vergessen. Er nimmt Kontakt mit Hilfsorganisationen auf, um seine Erfahrungen und seinen Sachverstand einzusetzen. Als er ernüchtert feststellt, dass diese Organisationen nicht gewöhnt sind, mit Flüchtlingen zusammenzuarbeiten, fliegt er auf eigene Faust zurück nach Griechenland. Ohne Hilfe, Unterkunft oder ausgeklügelten Plan, aber mit einem mitgebrachten Whiteboard und fünf Kilo Papier beginnt er wieder, die Kinder in Englisch und Mathe zu unterrichten. Eine Familie sieht ihn in einem kleinen Iglu-Zelt hausen und lädt ihn ein, mit in ihrem „Caravan“ zu wohnen, wie die Wohncontainer des Lagers genannt werden. Dies wird der Treffpunkt von Alaeddins Schülern, die sich dort jeden Tag ungeduldig versammeln und warten, bis der Unterricht endlich anfängt. Eines Morgens entdeckt Alaeddin, dass jemand in großen Buchstaben „HAPY“ an die Wand des Containers geschrieben hat. Selten hat ein Schreibfehler so viel Freude am Lernen ausgedrückt.

Die Freude währt allerdings nicht lange: Nach vier Monaten schiebt die Lagerleitung Alaeddins „Schule“ einen Riegel vor: Weil er nicht für eine Hilfsorganisation arbeitet, muss er das Lager verlassen. Er setzt sich ins Flugzeug und regelt in den Niederlanden den nötigen Papierkram, um nach drei Monaten als Vertreter der gemeinnützigen Organisation „Happy Caravan“ das Lager erneut zu betreten.

Mehr Helfer – mehr Einsatzorte

Man könnte viel über Alaeddin schreiben. Und es wird viel über ihn geschrieben. Ted Talks hat ihn bereits als Sprecher eingeladen, 2019 bekam er den Preis als „nettesten unbekannten Weltverbesserers“ verliehen. Hingabe und Begeisterungsfähigkeit sind Eigenschaften, die ihn treffend charakterisieren. Und doch ist Happy Caravan nicht nur seine Geschichte.

Da gibt es zum Beispiel auch noch Audrey, die auf Facebook von den Zuständen in Skaramangas erfuhr und helfen wollte, zuerst als Englischlehrerin, inzwischen als Vorstandsmitglied (und Verlobte von Alaeddin). Oder US-Amerikaner Paul, der seine Midlife-Crisis nutzte, um nach Griechenland zu reisen, mit den Kindern Uno und Basketball zu spielen und seinen Lehrerberuf mal ganz unbürokratisch auszuüben. Und auch Sozialarbeiterin Amelia hat sich vom Schicksal der in den Lagern gestrandeten Kinder bewegen lassen und ist von England nach Griechenland gezogen, um hauptberuflich für Happy Caravan zu arbeiten. Diese relativ unbekannte und junge Organisation hat bisher schon hunderte Menschen aus der ganzen Welt dazu ermutigt, sich kurz- oder langfristig für das Wohlergehen der Kinder einzusetzen, die in Europa Schutz vor Krieg, Unterdrückung und Armut suchen.

Mehr Helfer bedeutet auch mehr Einsatzorte: Inzwischen ist Happy Caravan an drei Standorten aktiv – sowohl in Griechenland als auch in Syrien – und hat dort jeweils einen eigenen Container bzw. „Caravan“, in dem Klassen in verschiedenen Altersgruppen unterrichtet werden. Dabei konzentrieren sich die Lehrer auf solche Fächer, die den Kindern nützen können, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis bekommen: Englisch, Rechnen, Kunst, Musik und der Umgang mit Computern. Bewohner des Flüchtlingslagers arbeiten als Übersetzer oder Klassenassistenten mit. Doch nicht nur die kognitiven Fähigkeiten werden stimuliert, sondern auch die emotionale und soziale Entwicklung. Christen, Muslime und Juden sitzen hier oft zum ersten Mal in ihrem Leben nebeneinander. In der sicheren, strukturierten Umgebung eines Klassenzimmers entstehen aus den anfangs so diversen Gruppen schnell Freundschaften. Als einige Studenten der Notfall- und Traumatherapie zu einem Hospitationsbesuch anreisen, stellen sie fest, dass die Kinder anfangs viel ungebremste Emotionen und traumatypische Verhaltensmuster mit in den Unterricht bringen. Man sollte meinen, die ungeschulten Mitarbeiter von Happy Caravan könnten dem nichts entgegensetzen. Und doch beeindrucken sie die Studenten mit ihrem großen Einfühlungsvermögen und dem starken Willen, Bindungen aufzubauen und zu pflegen. Ein stabiler Faktor in einer unsicheren Umgebung zu sein: Etwas Wertvolleres kann man den Kindern kaum bieten.

Schule im Flüchtlingslager

Die Corona-Pandemie hat die Geflüchteten und damit auch die Arbeit von Happy Caravan hart getroffen. 13 Monate lang waren die Lager für Außenstehende geschlossen. Dank mehrerer Sachspenden und Helfern in den Lagern konnten Online-Klassen organisiert werden. So brach der Kontakt nicht ganz ab. Die International School of Prague und die Universität Rotterdam unterstützen Happy Caravan mit ausgearbeiteten Lehrplänen und didaktischen Ideen für den Online-Unterricht. Und doch … der echte Kontakt konnte damit nicht ersetzt, die gähnende Leere des Lageralltags nicht gefüllt werden.

Mitte Mai telefoniere ich mit Amelia, der leitenden Mitarbeiterin vor Ort. Sie wohnt in Thermopolis und hat seit April wieder Zugang zu dem lokalen Flüchtlingslager. Weil das anhaltende Reiseverbot die Ankunft weiterer Mitarbeiter verzögerte, hat sie quasi im Alleingang an der Wiedereröffnung gearbeitet. Das Klassenzimmer ist renoviert, neue Lehrpläne liegen bereit, der Kontakt zu externen und internen Helfern steht, und die Schüler wissen schon Bescheid, dass es bald wieder losgeht. Amelias Arbeitstage sind lang, ich erreiche sie erst um halb sieben. Sie wirkt erschöpft und gleichzeitig passioniert, den Unterricht wiederzubeleben – ein guter Moment, sie nach ihren Wünschen für die Zukunft zu fragen. „Natürlich ist jede Hilfe so notwendig wie willkommen“, beginnt sie. Es wäre toll, wenn Leute für Happy Caravan Fundraising-Aktionen via Social Media organisieren oder Unterrichtsmaterial erstellen könnten. Wer nur beschränkt viel Zeit hat und weit weg wohnt, könne auch gerne Hausaufgaben korrigieren. „Aber wirklich fabelhaft wäre langfristige Unterstützung vor Ort, am liebsten von jemandem mit einer relevanten Ausbildung, eine qualifizierte Lehrkraft oder jemand, der etwas von PR oder Networking versteht. Langfristig versuchen wir nämlich, ein Schulsystem zu entwickeln, das auch in anderen Flüchtlingslagern funktioniert.“

Ich verspreche ihr, diese Anfrage mit meinem Netzwerk zu teilen. Wer weiß, vielleicht fühlt jemand den Ruf, in dem von Jim White besungenen Konvoi mitzufahren, natürlich auf einem der fröhlichsten Wagen des Umzugs, dem Happy Caravan …


Diesen Artikel schrieb Anna-Maria Fennema zuerst für das Magazin DRAN (06/21). DRAN erscheint achtmal pro Jahr im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört.

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