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Doku über Philipp Mickenbecker: „Das war eine Gratwanderung“

Am 18. September ist die Dokumentation „Real Life“ über den an Krebs gestorbenen Philipp Mickenbecker im Kino gestartet. Die beiden Filmemacher erzählen, wie es für sie war, Philipp bis zu seinem Tod zu begleiten.

Hinweis: Das Interview führte Julius Vogelbusch. Er ist Teil des YouTube-Kanals „The Real Life Guys“, den Philipp Mickenbecker gegründet hat.

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Lukas und Alexander, wie kam es dazu, dass ihr diese Doku gedreht habt?

Lukas Augustin: Durch meine eigene Biografie habe ich verschiedene Leute kennengelernt, die durch eine schwere Zeit gegangen sind. Die Frage, wie Menschen mit Leid umgehen, hat mich schon länger beschäftigt. Irgendwann hatten wir dann Kontakt mit Siloam Productions – einer Produktionsfirma aus der Schweiz, die gesagt hat, sie würden gerne mit uns einen Film machen. Wir haben über dieses Thema gesprochen und wie wichtig es ist, eben nicht rückblickend so eine Geschichte zu erzählen, wie jemand mit einer krassen Erfahrung umgeht, sondern dabei zu sein und Menschen in dieser Situation zu begleiten.

Alexander Zehrer: Damals hatten wir nur die Idee, wir hatten keinen Protagonisten im Kopf, der dafür passen würde. Ich hatte zwei Wochen vorher durch Zufall diese Talkshow im NDR gesehen, wo Philipp das erste Mal öffentlich von seiner Krebserkrankung gesprochen hat. Dann habe ich gegoogelt, wer dieser Typ ist, und bin so auf die Real Life Guys und „Life Lion“ gestoßen. Ich habe mir das angeguckt und dachte, wow, was für ein Typ! Ich war total gefangen von deren Story, auch von der ganzen Vorgeschichte mit seiner Schwester Elli.

Wir haben den Kontakt hergestellt und Philipp hat zugesagt, dass er mit uns die Doku anfangen würde. Anfang Februar 2021 sind wir also nach Bickenbach gefahren. Ich weiß noch, wir sind mit unseren Kamerataschen angekommen, mit null Ahnung, was uns erwartet, nur mit dieser Dankbarkeit, dass wir Philipp begleiten dürfen. Wir wussten nicht mal, wie lang das Projekt laufen würde. Ist das eine Doku, die wir anfangen und dann geht das ein Jahr oder vielleicht mehrere? Wir sind hergefahren, mit dem Gefühl, jeder Dreh könnte auch der letzte sein und so haben wir auch immer gedreht. Weil wir nie wussten, wie lange geht das noch.

Philipp war in einem körperlichen Zustand, wo man überhaupt nicht gemerkt hat, wie schlecht es um ihn stand. Wenn ich die Beule auf seiner Brust nicht gesehen hätte oder die Wunde später, dann hätte ich in den ersten Monaten überhaupt nicht gecheckt, dass er Krebs im Endstadium hat. Ansonsten war für uns die Hauptherausforderung, wie es auch generell bei Dokumentarfilmen ist, Nähe zu den Protagonisten zu gewinnen.

Und wie hat sich die Nähe dann entwickelt?

Augustin: Am Anfang war auf jeden Fall Zurückhaltung da, weil wir halt Fremde aus Berlin waren.

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Zehrer: Aber wir kamen ja nicht hierher, haben uns im Hotel einquartiert und sind wieder heimgefahren. Vom ersten Tag an haben wir bei euch auf der Couch geschlafen oder bei Phillips Eltern im alten Kinderzimmer. Es war kein Geld da für eine eigene Unterkunft, also waren wir plötzlich einfach Teil eures Lebens. Man hat gemerkt, je mehr wir da waren, desto mehr hat sich eine Freundschaft entwickelt.

Gab es einen Moment, in dem ihr gedacht habt: „Jetzt sind wir Teil des Freundeskreises“?

Augustin: Ich glaube, der Wendepunkt war die Reise in die Dominikanische Republik. Philipp wollte ja noch mal eine Reise machen. Er hat mir spontan eine Woche vorher eine WhatsApp geschickt und gesagt: „Hey, ich überlege, mit ein paar Freunden jetzt in die Karibik zu fliegen.“ Wir waren oft abends noch bei ihm auf dem Zimmer und eigentlich 24/7 mit euch unterwegs. Und mit der Zeit haben wir gemerkt, wir sind nicht länger Beobachter, sondern wir sind Freunde geworden und wünschen uns genauso sehr, dass Philipp wieder gesund wird.

Diese journalistische Distanz, die ich normalerweise bei meinen Projekten hab, habe ich in dieser Zeit total verloren. Und auch Philipp hatte diese Freiheit, dass er nicht das Gefühl hatte, er muss jetzt irgendwas verstecken vor uns. Davon profitiert so ein Dokumentarfilm natürlich extrem, weil man das Gefühl hat, man taucht wirklich ein in diese Welt, in eure Welt. Dafür bin ich total dankbar.

Auf welche Momente in der Doku freut ihr euch besonders, sie den Leuten zu zeigen?

Augustin: Es gab ständig solche Momente: die Abende am Strand, wo wir zusammen gesungen und gebetet haben, wo man einfach gespürt hat, ihr streckt euch nach Gott aus und versucht Antworten auf eure Fragen zu bekommen. Es ist nicht einfach alles geklärt, nur weil ihr diesen Glauben habt.

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Es ist eigentlich die ganze Zeit ein Kampf, wie man jetzt noch daran festhalten kann. Ob es noch Hoffnung gibt und was ist, wenn Philipp stirbt. Diese Suche nach Lösungen in einer eigentlich hoffnungslosen Situation und auch diese Zuversicht, dann trotzdem nicht komplett den Verstand zu verlieren, sondern so klar und ruhig zu bleiben, war sehr beeindruckend.

„Es ist uns in diesen Situationen auf jeden Fall nie leichtgefallen, einfach weiterzudrehen.“

Lukas Augustin

Ich stelle es mir schwierig vor: Du lernst jemanden kennen, gewinnst ihn mehr und mehr als Freund und siehst gleichzeitig, wie seine Gesundheit Tag für Tag schwindet. Aber du musst weiterhin die Kamera draufhalten, um die Geschichte zu Ende zu erzählen. Dachtet ihr manchmal, eigentlich wäre es jetzt nicht angemessen zu drehen, aber wir müssen die Doku zu Ende drehen?

Augustin: Das war auf jeden Fall die ganze Zeit eine Gratwanderung für uns. Weil es uns wichtig war, dass wir Philipp nicht in seinem Leid vorführen. Und gleichzeitig wussten wir, das gehört eben zu seiner Geschichte dazu und das ist auch sein expliziter Wunsch gewesen. Er hat immer wieder gesagt, dass wir sein Real Life festhalten und nichts beschönigen sollen.

Wir waren auch oft einfach nur da in diesen Momenten und haben nicht gedreht. Aber es gibt natürlich viele Momente, wo wir uns trotzdem entscheiden mussten, die Kamera laufen zu lassen, denn sonst hätte uns ein wichtiger Teil von der Geschichte gefehlt, um ein authentisches Bild zu zeigen. Es ist uns in diesen Situationen auf jeden Fall nie leichtgefallen, einfach weiterzudrehen.

In manchen Situationen wollte man ihn einfach nur umarmen oder bei ihm sein und das haben wir auch oft gemacht. Auf der anderen Seite hatten wir die Rolle als Filmemacher. Uns war von Anfang an klar, dass es herausfordernd wird und dass es Momente geben wird, wo es auch für uns schmerzhaft ist dabei zu sein.

Zehrer: Es war ja so, dass auch immer wieder Kamerateams für andere Sender vorbeikamen. Die waren dann ein, zwei Tage da, haben ihre Sachen gefilmt und sind wieder gegangen. Wir dagegen waren da, wenn ihr aufgewacht seid und wenn ihr nachts um vier schlafen gegangen seid, die Kameras waren ständig präsent und irgendwann haben wir gemerkt, dass das auch total egal ist, ob wir da sind oder nicht.

Ihr habt einfach euer Ding durchgezogen und wir waren da, ob die Kamera jetzt an war oder nicht, das war total egal. Ihr habt das gar nicht mehr beachtet und so war es dann auch in den schweren Momenten. Als Philipp in seinem Zimmer lag und schlecht Luft bekommen hat und Schmerzen hatte. Klar war es dann auch komisch, das zu drehen, aber es war trotzdem natürlich. Es war schwer, aber irgendwie habt ihr uns das auch total leicht gemacht.

Gab es Momente, die ihr gerne auf Band gehabt hättet und die euch jetzt fehlen?

Augustin: Eine Herausforderung war, dass wir in Berlin wohnen und ihr wohnt in Bickenbach, das sind immer sechs Stunden Zugfahrt. Wir haben beide Familien und kleine Kinder – das heißt, wir konnten jetzt nicht bei euch einziehen. Wir hatten auch ein Leben neben der Doku. Also natürlich gab es Momente, wo wir gerne dabei gewesen wären.

Zum Beispiel nach der Reise in die Dominikanische Republik – da habt ihr euch als Freundeskreis hingesetzt und Tacheles geredet. Ihr habt angefangen, Pläne zu machen und Leute einzuweisen, was zu tun ist, wenn es Philipp schlecht geht. Also wie funktioniert das mit Morphium spritzen und so weiter. Das war ein Moment, wo wir gern dabei gewesen wären und gefilmt hätten, wie der Freundeskreis mit dieser Situation umgeht und man solche Sachen bespricht. Es war aber für uns beide nicht möglich, da zu sein.

„Abends habe ich am Telefon erfahren, dass Philipp gestorben ist – ich weiß noch, dass ich zu meiner Frau gegangen bin, angefangen habe zu weinen und meinte, dass ich jetzt losmuss.“

Alexander Zehrer

Zehrer: Oder als Philipp gestorben ist. Da war ich gerade in einem anderen Projekt unterwegs, als Janet uns schrieb, dass Philipp angefangen hat zu bluten. Ich habe dann sofort Lukas angerufen und gefragt, ob er losfahren kann. Lukas ist hingefahren und hat dann die letzten zwei Tage in Bickenbach verbracht, mit euch allen. Ich war woanders und hab mich dort total fehl am Platz gefühlt.

Abends habe ich am Telefon erfahren, dass Philipp gestorben ist – ich weiß noch, dass ich zu meiner Frau gegangen bin, angefangen habe zu weinen und meinte, dass ich jetzt losmuss. Also habe ich mich ins Auto gesetzt und bin die Nacht durchgefahren. Lukas ist um fünf Uhr morgens nach Hause gefahren, ich kam zur selben Zeit bei euch an und wir haben uns die Klinke in die Hand gedrückt. Ich habe dann die nächsten Tage da verbracht und dort weitergedreht, wo Lukas aufgehört hat.

Augustin: Und trotzdem finde ich es einfach krass, wie oft wir in entscheidenden, wichtigen Situationen da waren, bis hin zu seinem letzten Atemzug.

Was war eure größte Herausforderung in der Postproduktion?

Zehrer: Die große Storyline stand ja, wir mussten dann schauen, was wir von diesen über 200 Stunden gedrehtem Material nehmen. Welchen Raum gibt man welchem Thema? Es gab Szenen, wo wir damals beim Drehen dachten, das wäre ein ganz toller Moment, aber dann beim Schneiden gemerkt haben, dass es nicht funktioniert wie gedacht. Und andere Situationen, wo wir dachten, wir drehen einfach mal, sind total authentische Aufnahmen geworden. Diese Nuggets rauszuarbeiten, war letztlich die größte Herausforderung.

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Das Crowdfunding für die Doku hat insgesamt 550.000 Euro eingebracht. Habt ihr damit gerechnet, dass es so erfolgreich sein würde?

Zehrer: Auf keinen Fall. Das Crowdfunding ist absolut durch die Decke gegangen und das hat ermöglicht, diesen Film auf einer professionellen Ebene produzieren lassen zu können. Es waren nicht nur wir beide mit am Start, sondern da war ein ganzes Team involviert, von Editor, Assistenten, Sound Designern, Farbkorrektur, Marketing, Produktion. Das Besondere ist, dass es keine große Filmförderung gab, die da eine halbe Million reingebuttert hat, sondern dass es fast 7.000 Leute sind, die dafür gespendet haben.

Augustin: Wir sind einfach total dankbar, jetzt alle Register ziehen zu können, damit möglichst viele Menschen diese Story von Philipp sehen.

Gibt es Sachen aus der Zeit, die ihr für euch mitgenommen habt?

Zehrer: Euer Motto „do something“, also einfach unterwegs zu sein, was zu machen, hat mich total inspiriert. Es inspiriert auch sicher viele andere, zu sehen: Da sind junge Menschen, die einfach ihren Traum leben, aber dann auch maximal herausgefordert sind durch diese Krankheit. Der Krebs hat ja nicht nur Philipp beeinträchtigt, sondern euch alle geprägt. Und trotzdem habt ihr das als Freunde zusammen durchgestanden. Wir alle kennen oberflächliche „happy clappy“ Freundschaft, aber bei euch spürt man diese Tiefe.

Zu sehen, wie ihr durch dick und dünn gegangen seid und auch noch geht, ist sehr ermutigend. Das hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, Freundschaften zu pflegen und in Beziehungen zu investieren. Außerdem den Mut zu hinterfragen, was es mit diesem christlichen Glauben auf sich hat – ist das was, woran du nur denkst, wenn es dir schlecht geht, oder ist der Glaube ein Lifestyle, wo du Jesus in deinen Alltag mit aufnimmst, egal ob es dir gut oder schlecht geht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Julius Vogelbusch.

Die Dokumentation über Philipp Mickenbecker soll ab dem 18. September im Kino zu sehen sein. Etwa ab dem 15. August beginnt der Online-Ticketverkauf.

Link: Philipp Mickenbecker verstorben


Ausgabe 6/23

Dieses Interview ist in der Zeitschrift DRAN erschienen. DRAN ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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5 Kommentare

  1. Das Sterben als existenzielle Frage

    „Das war eine Gratwanderung: Im September erscheint die Dokumentation „Real Life“ über den an Krebs gestorbenen Philipp Mickenbecker. Die beiden Filmemacher berichten, wie es für sie war, Philipp bis zu seinem Tod zu begleiteten“! : Eine gute Idee, das Sterben eines Menschen mit dessen ausdrücklichem Wunsch zu begleiten, dabei sicherlich viel für die eigene Existenz zu lernen und letztlich dem Betreffenden das Beste zu geben was es gibt: Eine wirkliche Begleitung. Vielleicht könnte der Film für alle Leute, die mit Sterbenden zu tun haben – insbesondere auch die Ehrenamtliche im Hospiz-Dienst – eine wertvolle Hilfe sein. Sicherlich ist der Film auch ein Novum. Gewöhnungsbedürftig ist dies schon deshalb, weil wir westliche Menschen allzu sehr Individualisten sind. Ausserdem sagen uns nicht nur die Psychoanalytiker: „Niemand stirbt selbst, es sind immer die anderen. Aber irgendwann sind wir selbst die anderen“! Auch wir sterben: Ist das die wirklich große Reise in ein anderes Leben ? Oder ein Fall ins Bodenlose ? Wenn selbst Jesus vor seinem Kreuz Angst hatte und wünschte der Kelch könne an ihm vorbeigehen: Dann brauchen doch gerade Sterbende unsere Begleitung – und mit uns und durch uns, auch diejenige Gottes. Das Sterben ist dabei die stärkste und durchdringenste existenzielle Frage des Himmels, bei der uns keine Philosophie hilft, sondern nur wenn wir begleitet und dann aufgefangen werden. Es ist die uns zugemutete Mutprobe. Selbst angeblich gottlose Existenzialisten behaupten: „Wir werden anfangs einfach ins Leben geworfen, ohne dass uns jemand fragt. Und nunmehr fallen wir uns dem Leben, ohne dass wir gefragt werden“! Aber was wären wir als Menschen, wenn es keine Hoffnung gibt und ein Sinn, der anfängt mit der Schöpfung und der endet, wenn das Ziel erreicht ist. Einen wirklichen Sinn, den wir erst noch erfahren.

  2. Dem Text hätte (für alle, die nicht wissen, wer Julius Vogelbusch ist) noch eine Einordnung gut getan, wer der Interviewer ist. Aus dem Interview ist herauszulesen, dass er etwas mit den „Real Life Guys“ zu tun hat, weil besonders Alexander Zehrer in seinen Antworten immer wieder darauf Bezug nimmt – allerdings ohne, dass der Zusammenhang transparent erklärt wird. Das fand ich irritierend und hat das Leseverständnis stark gestört.

    • Hallo Elisabeth,

      das stimmt. Danke dir für den Hinweis. Ich ergänze es noch oberhalb des Textes.

      Liebe Grüße,
      Pascal vom JDE-Team

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