- Werbung -

EKD: „Sexualisierte Gewalt gehört zur Realität unserer Kirche“

Evangelische Kirche und Diakonie haben „jahrzehntelanges Versagen“ im Umgang mit sexuellem Missbrauch eingeräumt. Sie verpflichten sich außerdem zu einheitlichen Standards, Prävention und Transparenz.

Nach der Veröffentlichung einer Studie zu Missbrauch an Kindern und Jugendlichen haben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie eklatantes Versagen eingeräumt. Die Ende Januar vorgestellte Studie lege ein «jahrzehntelanges Versagen der evangelischen Kirche und der Diakonie auf allen Ebenen und in allen Landeskirchen offen», heißt es in einer Stellungnahme des Rates der EKD, der 20 evangelischen Landeskirchen und des Bundesvorstands der Diakonie. Die beim Bund angesiedelte unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hatte von der evangelischen Kirche Konsequenzen aus der Missbrauchsstudie gefordert.

- Werbung -

Studie: Dunkelziffer liegt weit höher

Die Studie des unabhängigen Forschungsverbunds ForuM zeigt Ausmaß und Risikofaktoren sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche. Die Wissenschaftler ermittelten mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie, gehen aber davon aus, dass die tatsächliche Zahl weit höher liegt, weil längst nicht alle relevanten Akten der Landeskirchen und diakonischen Landesverbände eingesehen wurden. Zudem attestierten die Forscher eine „Verantwortungsdiffusion“, ein problematisches Amtsverständnis bei Pfarrern und die Diskreditierung von Betroffenen, die die Gewalt gegen sie öffentlich machten.

Die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs erklärte am Dienstag, die Glaubwürdigkeit und Zukunft der evangelischen Kirche hänge entscheidend davon ab, dass sie die mit der ForuM-Studie aufgezeigten eigenen Fehler und Mängel anerkenne. Die Kommission verlangte zudem, eine umfassende Aufklärung aller Missbrauchsfälle, ein Recht auf Aufarbeitung für Betroffene im Kirchengesetz festzuschreiben und einheitliche Verfahren für Entschädigungen, die sogenannten Anerkennungsleistungen.

„Taten wurden nicht aufgearbeitet, Täter wurden geschützt“

Der Sprecher der Betroffenen von sexualisierter Gewalt in der EKD, Detlev Zander, sprach von einem «langen und steinigen Weg» bis zu der gemeinsamen Erklärung der 20 Landeskirchen, Rat der EKD und Diakonie Deutschland. In der Erklärung heißt es: „Sexualisierte Gewalt gehört zur Realität unserer Kirche und unserer Diakonie. Diese Einsicht nimmt uns in die Pflicht.“ Die Studie mache deutlich, dass die evangelische Kirche und die Diakonie oft nicht einheitlich, nicht Betroffenen orientiert und nicht mit der nötigen Initiative vorgegangen seien. „Betroffene Personen wurden nicht gehört, Taten nicht aufgearbeitet, Täter geschützt und Verantwortung nicht übernommen.“

EKD, Landeskirchen und Diakonie verpflichten sich laut der Erklärung zu einheitlichen Standards der Prävention und Transparenz, einheitlichen Verfahren für kirchliche Zahlungen – die sogenannten Anerkennungsverfahren – sowie einen einheitlichen Prozess der weiteren Aufarbeitung sexualisierte Gewalt.

Weitere Beratungen noch im Februar

Konkrete Schritte sollen im Beteiligungsforum der EKD, in dem kirchliche Verantwortliche und Betroffene vertreten sind, besprochen werden. Mitte Februar werde das Gremium gemeinsam mit den Forschenden die Ergebnisse und Empfehlungen erstmals beraten, heißt es in der Stellungnahme. Die Rede ist darin von einem „klaren Maßnahmenplan“.

Die Stellungnahme bekennt sich zur Beteiligung von Betroffenen. Man stehe hinter dem «Grundsatz der direkten Mitentscheidungen» von Betroffenenvertretern und -vertreterinnen. Zander, der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum ist, sagte dem epd, er erwarte, dass alle Landeskirchen und alle Diakonie-Landesverbände sich an die Beschlüsse hielten. „Ich werde im Beteiligungsforum darauf achten, dass alles umgesetzt wird“, sagte er. Zugleich zeige die Erklärung, dass die Betroffenenbeteiligung einen hohen Einfluss habe.

Link: Stellungnahme der EKD, der Landeskirchen und Diakonie Deutschland

Quelleepd

1 Kommentar

  1. Für jeden der sich bei dem Thema Missbrauch eingearbeitet hat, waren die Zahlen von der Studie nichts überraschendes. Zu offensichtlich hat sich die evangelische Kirche weggeduckt, zu sehr hat sie darauf gesetzt sich hinter der katholischen Kirche verstecken zu können und zu sehr hat sie Betroffene bis vor kurzem massiv unter Druck gesetzt. Wie das mit einem christlichen Menschen bild in Einklang zu setzen ist, weiß ich nicht. Es ist Totalversagen auf der ganzen Linie, das dadurch noch verstärkt worden ist, dass die Studie von fast allen Landeskirchen nur m inimal unterstützt wurde. Man wollte es eben nicht so genau wissen…

    Wie will man überhaupt als evangelische Kirche glaubwürdig weiterarbeiten? Die Kirche der Hypermoral die permanent mit dem Zeigefinger durch die Welt geht und sich in alle Bereiche einmischt, hat bewiesen das ihr die Schwächsten unter uns, die Kinder, egal sind. Es ist ja nicht so das es nicht genügend Hinweise gegeben hat und ganz sicher haben die Landesbischöfe (Bischöfinnen und Bischöfe!) mehr gewusst.
    Aber man hat sich zu sehr daran gewöhnt das die Katholiken das Fett abbekommen und man dann selber nicht betroffen ist. Zumal die Katholiken so ehrlich (dumm-ehrlich?) waren, dass sie vor mehr als 10 Jahren (!) von sich aus gesagt haben dass sie ein Problem haben. Pater Mertens hat den lange überfälligen Schritt bei der katholischen Kirche getan, während die evangelische Kirche wider besseren Wissen das darauffolgende Jahrzehnt geschwiegen hat. Es gab eben keinen evangelischen Pater Mertens, dafür viele Kirchenfunktionäre die weiterhin vertuscht haben und die bis vor kurzem das Leben der Betroffenen schwer gemacht haben.

    Bis Heute vermisse ich Demut in der evangelischen Kirche, verbunden mit einer großen Entschuldigung an alle Opfer und nun auch an alle Gläubigen die wirklich nichts gewusst haben. Ich vermisse auch wirkliche Aufklärung. Wer hat wann was gewusst? Muss man nun jeder und jeden nachweisen vertuscht zu haben?

Die Kommentarspalte wurde geschlossen.

Zuletzt veröffentlicht